Was hat dies sportliche Leitung mit der Misere zu tun?
Christian Keller war es, der den Jahn gerettet hat und zurück in die 2. Bundesliga führen konnte. Der Funktionär ist aber dem Verein entwachsen und nach Köln gewechselt. Der SSV musste sich so einen Nachfolger für Keller suchen und fand in Roger Stilz nach langen Bewerbungsprozess einen geeigneten Kandidaten.
Stilz entpuppte sich allerdings nach einem Jahr als Fehlgriff, nachdem er sich aus der Öffentlichkeit mehr und mehr zurückzog und Sapreet Singh nicht registriert hat. Der zusammengestellte Kader wirkt zudem unausgeglichen und dünn besetzt. Vizinger, Stojanovic und Idrizi enttäuschten über weite Strecken und kommen dadurch nur (noch) kaum zu Spielzeit, weshalb man nun mehr oder weniger zwei nutzlose Leihen abbezahlen muss und für Stojanovic im Sommer sogar eine Ablöse hingelegt hat.
Es war dennoch alles in allem eine solide Transferphase für den Jahn, andererseits muss man sich fragen, ob dies reicht?
Zwar war Stilz gekommen, damit man den Verein weiter stabilisiert, jedoch konnte er mit seinen Entscheidungen selten alle Akteure voll mitnehmen – allein schon, weil seine Art oft ziemlich hochgestochen und nicht nahbar wirkte. Im Endeffekt scheiterte er, weil er haarsträubende Fehler gemacht hat und weil seine Kommunikation das Umfeld nicht erreichte. Und trotzdem war auch seine Kaderplanung sowie seine sportliche Bilanz nicht gerade förderlich für das Verhältnis zu den anderen Beteiligten, aber dies gilt wohl nicht als Hauptauslöser für seinen Rücktritt.
Der Nachfolger ist Tobias Werner. Ein bisher eher unerfahrener Ex-Profi, welcher davor bei Jena aktiv war. Werner habe ich kurz nach seinem Antritt genauer betrachtet. Sein erster Neuzugang war Jonas Urbig, somit schaffte er ein Überangebot an Torhütern, anstatt andere Lücken im Kader zu füllen. Insbesondere die fehlende Kreativität in der Offensive sowie die mangelnde Breite in der Defensive werden dem Jahn immer wieder zum Verhängnis, trotzdem waren Neuzugänge Fehlanzeige. Nach unseren Informationen sind bei den Vertragsverlängerungen zwar erste Verhandlungen ins Rollen gekommen, aber große Durchbrüche sind noch nicht zu vermelden. Jene Thematik wird höchstwahrscheinlich erst näher angegangen, wenn die sportliche Zukunft eindeutiger wird.
Selimbegovic in der Kritik – trägt er die Hauptschuld?
Die erste echte Krise erlebte der Jahn unter Selimbegovic ebenfalls im Winter. Zu Beginn des Jahres 2022 lief es für die Oberpfälzer so gar nicht rund. Erst verlor man mehr als dramatisch im Nebel von Regensburg gegen Rostock, etwas später verlor man erneut gegen die Kogge und die Woche darauf bitter in Hamburg. Es folgten bis zum Saisonende etliche wechselhafte Auftritte. Diese Phase gilt in der Nachbetrachtung als der Wendepunkt in der Saison 21/22. In der aktuellen Saison kam dieser Einschnitt schon deutlich früher, nachdem man unverdient in Hannover besiegt wurde. Erneut folgten katastrophale Wochen oder sogar Monate. Erst spielt man grandios, ehe man tragisch verliert und in ein Loch fällt. In diesem Loch steckt diese Mannschaft bis heute und man kommt irgendwie nicht mehr heraus. Egal welche Umstellung, egal welcher taktischer Kniff – am Ende jubeln immer die Gegner – so fühlt es sich zumindest an. Und man fragt sich zunehmend, ob Mersad nicht mehr machen könnte?
Auch wenn Mersad eine Legende ist und ich ihn nur ungern kritisiere, muss festgehalten werden: Nach über vier Jahren, insgesamt acht Vorbereitungen und in dieser Saison nach 19 Spieltagen steht der Jahn mit 19 Punkten und Tabellenrang 17 sportlich zum ersten Mal unter ihm so richtig desolat da. Die taktische Entwicklung stockt. In der ganzen Mannschaft häufen sich Fehler und Fehleinschätzungen. Akute Defizite wie einfache Ballverluste in der Defensive, miserable Verteidigung von Ecken und Freistößen, mangelnde Kreativität im Aufbau- und Angriffsspiel, fehlende Mentalität im Kader stauen sich seit Monaten an.
Dabei waren wir doch vor kurzem noch so gut wie noch nie.
Einfach den Cheftrainer zu feuern, wäre in meinen Augen dennoch zu einfach. Es benötigt meiner Meinung nach einer zielgerichteten Analyse, einen Mentaltrainer und einen Trainer für Standardsituationen, damit man diese Fehlerquellen zumindest minimieren kann. Der Jahn spart jahrelang (zurecht!) und dreht jeden Euro zweimal um, dennoch sollte man in das Trainerteam investieren und es qualitativ verbessern, anstatt einfach Selimbegovic rauszuwerfen.
Kein Kampf, einfache Fehler und monatelange Formkrise – was ist mit den Spielern los?
Wie sagt der Oberpfälzer so gern: „Omei“. Ja, zum Jammern gibt es auch bei der Mannschaft aktuell eine Menge. Die Mannschaft wirkt in diesen Tagen ausgelaugt und lustlos – so zumindest der Anschein auf dem Platz. Es wirkt so, als wüsste man schon davor, dass es heut nichts wird. Dazu fehlt dieser ewige Wille zum Sieg, diese Galligkeit und dieser positive Wahnsinn. Aber wie kann das von Spieltag auf Spieltag verschwinden?
Wir werden und haben noch nie ein Spiel gewinnen können, wenn man schon mit einer „es wird schon reichen“-Haltung hineingeht und man ein bisschen passt, zwischendurch schießt und mit Glück mal trifft. Wir müssen doch zeigen, wer der Herr im Haus ist. Wir müssen doch zeigen, dass wir es mehr wollen. Wir müssen immer 110 % geben als Jahn und das tun wir aktuell alle nicht, auf dem Platz wie auf den Rängen.
Es sind diese Sachen, die uns in diesen Wochen ratlos machen.
Beitragsbild: Gatzka