So richtig wusste man vor dem Spiel nicht, was denn auf einen zukommt. Beide Fanlager wirkten locker angesichts der aktuellen Lage, der Jahn schien angesichts der Tabelle als Favorit. Dass dies in dieser Liga nichts heißt, sah man am Samstag. Eine Analyse. (Foto: Gatzka)
Vorgeplänkel
Der SSV Jahn kam aus einem 1:0-Sieg gegen den MSV Duisburg, so wechselte Joe Enochs nur aufgrund einer Verletzung von Oscar Schönfelder, welcher durch Bryan Hein ersetzt wurde. Im Laufe des Spiels rotierte er mit Dominik Kother die Positionen, gegen Ende der Partie rückte er wieder auf die Linksverteidiger-Position, auf welcher er zu Beginn der Saison eingeplant wurde. Nach Angaben von Joe Enochs könnte Schönfelder auch nächste Woche noch passen müssen, wohingegen Viet wieder dabei sein könnte. Systematisch konnte man ein 4-1-4-1 erkennen, Rasim Bulic rückte auch dieses Spiel wieder aktiv in eine Viererreihe mit Kother, Anspach und Hein.
Die Essener liefen in einem 4-1-3-1 auf, sie wechselten im Vergleich zur Niederlage in München auf zwei Positionen, so rückte Wiegel als Rechtsverteidiger für Brumme in die Startaufstellung. Im Laufe des Spiels sah man über Strecken auch ein 4-1-4-1 oder andere Systeme – durch das dynamische Zentrum ändert sich die systematische Zuteilung im Laufe einer Partie sehr oft. Was möchte Rot-Weiss Essen spielen? Mit einem hohen Spielaufbau spielen sie risikoreichen Fußball, der eine Mischung aus „Ballbesitzfußball“ und „Vertikalfußball“ darstellt. Typischerweise sind im Spiel von Dabrowski sehr viele Rotationen und Bewegungen, sodass man den Gegner ständig zur Aktivität zwingt.
1. Halbzeit: Starke Anfangsphase, Eigentor und dann Wienand
Der SSV Jahn zeigte in den ersten Minuten eine sehr gute Leistung. Ich beschwor in den letzten Wochen oft die Intensität, hier wurde es in Glanzform gezeigt. Gewohnt führen Torhüter direkt den Abstoß aus, bei RWE ist es anders. Aber nicht, weil Wienand nicht weit schießen kann, sondern weil es eine taktische Vorgabe darstellt. So soll ein Innenverteidiger dem Torwart den Ball zuspielen, damit dieser dann mehr Freiheit mit Ball am Fuß hat und nicht auf einen Punkt fixiert ist. Ähnlich wie beim SC Verl wird dieses Verhalten mit einem Provozieren des Anlaufens gekoppelt. Das ist aber auch gefährlich, gerade in der Anfangsphase stellte der SSV Jahn beim gegnerischen Abstoß die Passwege so gut zu, dass Wienand den Ball nur unkontrolliert ausspielen konnte. Elias Huth und Niclas Anspach, die in der ersten Linie ein Duo bildeten, forcierten immer, dass der Innenverteidiger den Pass zum Torwart zurück suchen musste, der dann natürlich aggressiv gepresst wurde – das Ergebnis waren Unsicherheiten schon kurz nach Anpfiff.
Dennoch konnte auch der RWE schon früh einen Nadelstich setzen. Nachdem man sich über eine Dreiecksbildung am Flügel befreien konnte, schob der Jahn im Pressing so weit auf eine Seite, dass sich im Zentrum sehr viel Raum für Eisfeld aufbot, der dann Obuz einsetzte, welcher aus demselben Grund nicht direkt angegriffen wurde, aber seine Flanke wurde nur knapp nicht vom einlaufenden Eisfeld verwertet.
Das Vorgehen der Jahnelf war auch diese Partie wieder ein intensives Pressing im Angriffsdrittel. Dabei soll der Gegner im Idealfall über einen freien Innenverteidiger aufbauen, der im Verlauf entweder direkt attackiert oder durch das Zustellen der Passwege isoliert wird. Zur Umsetzung nutzt Enochs ein System aus Mannorientierungen (Volksmund: Manndeckungen). Das Ziel ist maximale Intensität und ständiger Druck. Man kann bei jedem Zuspiel dadurch sofort anlaufen und den Zweikampf suchen. Die Gefahren liegen auf der Hand, kann der Gegner mit abgestimmten Laufwegen (wie die Dreiecksbildung) und intelligenter Spielweise bespielbare Räume öffnen und bespielen, dann fehlt der Pressingmannschaft der Zugriff und die Absicherung. Typischerweise ist diese Spielweise sehr ansehnlich, dazu ist sie in der Philosophie des Jahn über Strecken verankert, aber durch die aggressive Raumverteilung kann es stets zu Unterzahlsituationen kommen. Dann ist es entscheidend, wie rückt die Mannschaft nach, wie gestaltet sie das Gegenpressing. Die oben genannte Chance ist ein Negativbeispiel.
Es ging aber Schlag auf Schlag: Nach einem Einwurf von Essen konnte der Jahn den Raum und die Passwege so zustellen, dass Harenbrock Kother in den Lauf spielte, er verfehlte aber das Tor knapp. Hier sieht man, was ein solches Pressing bewirken kann: Plötzlich steht man alleine vor dem Tor. Kurz darauf war es erneut Regensburg, die den Nadelstich setzen konnte. Erst überdribbelte Breunig eine Pressinglinie, dann öffnete Saller den Raum im Zentrum, daraufhin empfing Huth den Ball mit dem Rücken zum Tor, aber erneut scheiterte Kother (6) nach der Ablage nur knapp. In diesem Angriff konnte man gut die Spielintelligenz von Louis Breunig erkennen, sein Dribbling über den Gegner hinweg ermöglichte erst die Chance, auch der zielgenaue Pass zu Huth ist bemerkenswert.
Die Mannschaft von der Hafenstraße fremdelte in Folge etwas mit dem Aufbau des Jahn, auch weil man sein aggressives Anlaufen nicht immer aufbieten konnte. Lief man hoch an, so lösten die Innenverteidiger auch über hohe Bälle aus – bei einer hohen Positionierung der Reihen könnte ein Ball hinter die Abwehrkette tödlich sein. Problem für den Jahn war bei diesen langen Bällen oft das Gegenpressing. Verlor man den Luftzweikampf, dann konnte man nicht richtig nachsetzen und verlor gefühlsmäßig an Zugriff.
Den nächsten Aufreger konnte man erst in Minute 15 beobachten, nachdem sich RWE erneut aus dem Pressing des Jahns lösen konnte und über das Zentrum gekontert hatte, wurde Voufack von Geipl taktisch gefoult, da Hein „seinen“ Zweikampf verlor. Infolge entstand aus dem Freistoß das 0:1, nachdem Müsel nach Hereingabe seinen Abschluss verfehlt hatte, aber für Huth auflegte, der nur unglücklich ins eigene Tor klären konnte. Das Problem liegt aber nicht bei Huth, sondern bei Saller, der nur mit dem Blick zum Ball den Mann in seinem Rücken vergisst, welcher am Ende entscheidend ist.
Nach der ereignisreichen Phase zu Beginn des Spieles flachte die Partie aber langsam ab. Wie bereits beschrieben, wurden auf beiden Seiten die langen Bälle immer mehr – auch weil beide Teams gegen den Ball im Grunde gut standen. Dazu schlichen sich immer wieder kleine Fehler wie Doppelpässe oder Stellungsfehler ein, auch in der Mannschaft wurde kurzzeitig über die Fehler diskutiert, was oft Angriffe unfreiwillig beenden ließ.
Was aber beim SSV Jahn weiterhin vorhanden war, das war die Intensität, so war man im Pressing weiterhin aktiv, attackierte auch von hinten, um den Gegner noch mehr zu stören. Durch dieses spürbare Momentum im Pressing positionierte sich Eisfeld nun tiefer im Spielaufbau, darum wurde Bulic vor die Frage gestellt, ob er nun seine Mannorientierung löst oder den Raum zwischen ihm und Geipl, der hinter ihm auf der Sechs spielte, vergrößert. Er entschied sich für eine Zwischenlösung – war bereit für das Anlaufen, aber auch der Raum wurde etwas größer. Dieses Problem wurde auch in Minute 33 deutlich, nachdem ein Schuss von Kother geblockt wurde, fand Young plötzlich sehr viel Raum vor, nach einem Dribbling verlagerte auf die Seite zu Obuz, welcher ebenfalls sehr viel Spielraum hatte, da Saller aufgerückt war, sein Schuss von halbrechter Position ging eigentlich neben das Tor, wurde aber von Müsel ins Tor gedrückt, der zum Glück im Abseits stand. So kam man 10 Minuten vor der Pause nochmal mit Glück davon, aber diese Situation offenbarte eine Problematik, die in diesem Spiel noch entscheidend werden könnte.
Die letzte nennenswerte Aktion entstand in der 41. Spielminute: Nach einem Ballgewinn in der eigenen Hälfte, antizipierte Bene Saller schon früh einen Lauf und sprintete über das gesamte Spielfeld, zog nach innen, ließ einen Gegner aussteigen und verfehlte nur den Abschluss. Zuvor suchte der Jahn erst den drucklösenden Pass, ehe man dann den Weg nach vorne (vertikal) sucht. Dies ist ein Prinzip unter Enochs: Erst drucklösend, dann umschalten.
Kurz danach wurde Faber taktisch gefoult, nachdem er zu einem seiner Läufe ausholen wollte, dies passierte in diesem Spiel mehrmals, dazu wurde er besonders aggressiv gepresst. Man war wohl an der Hafenstraße gewarnt. Der folgende Freistoß wurde von Anspach auf den kurzen Pfosten ausgeführt, wo Kother zum Kopfball kam, aber Wienand nicht wirklich herausfordern konnte. Wenige Momente später war es erneut Wienand, der RWE rettete. Nachdem der SSV Jahn einmal mehr den Spielaufbau der Essener stoppen konnte, war es Bulic, der den Torwart aus dem Rückraum testete.
Im Anschluss passierte bis auf eine verunglückte Flanke auf Seiten der Jahnelf und einzelne Ansätze im Offensivspiel nichts mehr. Der Jahn war die aktivere Mannschaft, aber Essen zeigte sich flexibel und gut eingestellt.
2. Halbzeit: Dynamische Offensive und wiederkehrende Fehler
Joe Enochs brachte nach der Halbzeitpause Noah Ganaus für Niclas Anspach, der der Partie nicht seinen Stempel aufdrücken konnte. Systematisch war es so auch ein eher dynamischeres Konstrukt, gerade im Offensivspiel sah man deutlich mehr Rotationen, aber personell lief man so mit zwei Stürmern auf.
Der Jahn baute zudem deutlich höher auf, gerade die Außenverteidigung positionierte sich deutlich höher und die letzte Linie wurde personell mit mehr Leuten besetzt. Damit hatte Essen zu Anfang der 2. Hälfte sichtlich Probleme. Nach einem Einwurf kam Andi Geipl zu einer Flanke aus dem Halbfeld, welche zwar beim Gegner landete, durch gutes Nachsetzen aber konnte erneut Faber den Ball in die Box bringen. Nach chaotischen Szenen kam dann Elias Huth am zweiten Pfosten zum Schuss, aber der wurde von Götze auf der Linie geklärt. Eine typische Huth-Szene, er setzte sich sehr früh von seinem Gegenspieler ab, positionierte sich perfekt. Nur das Glück fehlte an diesem Tag für das Geburtstagskind. Auch das Nachsetzen vor den Flanken war sehr gut und ermöglichte erst diese Szene; auch weil man sehr viele Leute im letzten Drittel positionierte, welche den Zugriff auf die zweiten Bälle erhöhten.
Durch die Rotationen und die Dynamik von Huth, Ganaus und auch Kother hatte Essen Probleme, gerade Ganaus hatte sofort einen Impact auf das Spiel. Gerade bei Flanken tat seine Präsenz der Mannschaft sichtlich gut. Das möchte ich hierbei ausdrücklich erwähnen, nachdem er nicht nur von mir nach seiner gelb-roten Karte beim letzten Heimspiel kritisiert wurde.
Die nächste Aktion gehörte aber wieder den Gästen, nach einem Einwurf rückte Ballas für die Manndeckung mit nach vorne. Nachdem Faber aber den Ball und seinen Mann verlor, wurde diese offene Lücke genutzt. Nach einer Seitenverlagerung auf Obuz fehlte dem SSV erst der Zugriff auf dem Flügel und dann auch noch in der Box, sodass Harenbrock zum 0:2 einschieben konnte. Das Tor entsteht erst durch eine Unkonzentriertheit. Daran sieht man die Problematik bei einem Team, was auf einen Treffer drängen möchte und mehr Feldvorteile besitzt. Dennoch muss auch die flache Flanke verteidigt werden. Es kann nicht sein, dass man einen Ball durch vier Jahnspieler hindurch auf den langen Pfosten spielen kann.
Die Luft beim Jahn war daraufhin erstmal raus, trotz der sichtlichen Anfälligkeit von RWE nach Ballverlusten, konnte man diese nicht nutzen. Immer wieder gute Ballgewinne im eigenen Drittel wurden nur unzureichend ausgespielt, gerade die vielen Diagonalbälle auf Hein, der aufgrund seiner Größe Probleme in der Luft hat, waren ineffizient.
Es war dann wieder Essen, das nach nach einem Angriff des Jahn kontern konnte. Harenbrock fand im Zentrum wieder einmal sehr viel Raum vor, verlagerte das Spiel aufs Zentrum, wo dann erneut kein Zugriff auf Obuz war, der in die Box zog und das 0:3 erzielte. Ganz klar – der SSV Jahn musste die Restverteidigung gewissermaßen aufgeben, aber es sind auch in diesem Gegentor wiederkehrende Fehler im Raum zwischen Bulic und Geipl sowie am Flügel-Zugriff, die vermeidbar wären.
Nach dem erneuten Rückschlag trotz Chancen und Feldanteilen folgte eine eher maue Phase im Spiel – immer wieder wurde das Spiel durch Verletzungen oder durch Wechsel unterbrochen.
Am Ende durften aber dann doch noch die Jahnfans jubeln. Ganaus köpfte infolge eines Freistoßes ins Tor. Was folgte, war eine kämpferische Schlussphase der Jahnelf – plötzlich war der Zugriff auf allen Ebenen wieder da, man war griffig in den Zweikämpfen und konnte offensive Nadelstiche setzen. Am Ende kam dies aber zu spät, so stand am Ende eine unnötige 1:3-Niederlage auf der Anzeigetafel.
Fazit: Mund abputzen – weitermachen!
Extremes Pressing, pausenloser Vertikalfußball – der SSV Jahn schafft aktuell eine Philosophie, die Spaß macht und in der 3. Liga seinesgleichen sucht. Doch daraus ergeben sich Risiken, das hat man heute gesehen. Das gehört dazu, es wurde oft gepredigt, aber wir sind erst am Anfang.
Die Art des Spiels ist wichtiger als das Ergebnis. Wir wollen eine Mannschaft sein, die ihren Stil durchsetzt und den Gegner mit sofortigem Umschalten ersticken lässt – hier sind wir auf einem guten Weg.
Weitermachen. Kämpfen. Siegen. Avanti Ratisbona!
MVP des Spieltags: /
Es fällt schwer, einen Jahnspieler hier explizit zu nennen, dafür war die dargebotene Leistung zu schwach. Dahingehend habe ich mich dagegen entschieden. Jonas Bauer und Noah Ganaus kann jedoch zugesprochen werden, dass sie frischen Wind in die Partie brachten und Bissigkeit sowie Einsatz zeigten.
Enttäuschung des Spieltags: Benedikt Saller
Die gesamte Mannschaft zeigte heute einen eher unglücklichen Auftritt. Saller erlebt einen eher schwankenden Start in die Rückrunde. Wie bereits die vorherigen Wochen war er zwar in einzelnen Situationen überzeugend, griff wichtig an, aber am Ende steht dann doch ein wackliger Auftritt auf dem Papier.
Saller rückte immer wieder übereilt aus der Viererkette heraus, um den Ball zu erobern, wurde dabei überspielt und öffnete Räume hinter sich. Im Ballbesitz lief es nicht viel besser, bis auf den herausragenden Lauf, welcher nur knapp nicht zu einem Tor führte. Hinzu kommt, dass er den entscheidenden Fehler zum 0:1 machte.
ABER: Bene steht hier nicht, weil er eine schlechte Leistung zeigte, sondern weil ich mehr gewohnt bin. Gerade was Sicherheit und Konstanz angeht, sollte er als Führungsspieler eine Säule sein. Mein Gefühl sagt, dass er keine Balance findet, wenn die Mannschaft keine gute Leistung auf den Platz bringt. Dabei wäre das vielleicht sehr wichtig als doch erfahrener Spieler.
Die Stimmen zur Niederlage: „Das ist für uns eine große Niederlage”
Niclas Anspach zur Offensivleistung: „Die Chancenverwertung hat heute den Ausschlag gegeben. (…) Es lag daran, dass wir die Chancen nicht gemacht haben. (…) Fehlpässe hast du immer drin, aber wir haben die zweiten Bälle nicht gut genug eingesammelt, dass sie zu uns gelangen.“
Konni Faber zur Niederlage: „Eine Niederlage ist immer ärgerlich, aber heute war es verdient. Wir hatten viele Chancen in der ersten Halbzeit, haben es nicht hinbekommen, dass wir eine machen. Der Gegner konnte dann konntern, sie hatten dann auch Torchancen, vielleicht war es am Ende ein Tor zu viel. Aber am Ende muss man sagen, war es eine verdiente Niederlage. (…) wir haben heute zu leichte Fehler gemacht.”
Elias Huth zur unglücklichen Niederlage: „Das ist für uns eine große Niederlage und sehr herb. Es fühlt sich nicht gut an, aber wir werden aufstehen. (…) Ich muss das Gegentor ganz anders klären, hatte keinen guten Blick, es tut mir Leid für die Mannschaft. (…) Es ist heute kein gutes Gefühl. Normal sind wir die effektivere Mannschaft, heute ist es Essen.”