Doch gerade vor dem Spiel des Jahres herrscht wieder einmal Unruhe im Verein – wie immer. Investor gegen den e. V, Blog gegen Blog, Trainer gegen Spieler – die Gräben werden fast täglich sichtbar. Doch bevor wir uns damit befassen, haben wir für euch exklusiv ein Interview mit einem alten Bekannten. (Foto: Leonhard Simon/Getty Images, Mitarbeit: Tom)
Auf an Ratsch – mit Markus Ziereis
Servus Zier, wie geht es dir aktuell beim VfB Oldenburg?
Privat geht es uns in Oldenburg sehr gut. Wir haben uns im Sommer bewusst für das Abenteuer im Norden
entschieden und fühlen uns hier sehr wohl. Sportlich muss ich die Tabelle gerade ausblenden, da wäre mehr drin.
Du hast nicht nur einen Wechsel zwischen dem Jahn und den Löwen hinter dir. Wie kam es dazu?
Ich habe in der Jugend die Chance bekommen und das war ein riesen Schritt für mich, 55 Kilometer weg von Zuhause.
Das war der erste Schritt Richtung Profi. Dann ging es weiter mit dem Wechsel ins Internat von Sechzig. Ich hatte damals viele Anfragen, auch vom FC Bayern, aber Sechzig hatte seinerzeit eine herausragende Jugendarbeit und trotzdem ein familiäres Umfeld.
Was macht die beiden Vereine für dich besonders? Wo siehst du Unterschiede?
Beide Vereine sind nah an der Heimat. Beim Jahn habe ich angefangen, dort gibt es ein großes Miteinander und viele Menschen, die sich engagieren und alles für den Verein tun. Bei 1860 ist natürlich die Fankultur beeindruckend und unglaublich ausgeprägt. Das ist in dieser Form außergewöhnlich.
Was war dein wichtigstes Tor für beide Vereine?
Das kann ich so pauschal nicht sagen, ich glaube, das wichtigste Tor gab es auch nicht. Beim Jahn bin ich in der Regionalliga Torschützenkönig geworden, wir sind aufgestiegen. Das war am Ende wichtig.
Wie sehr hatten sich die Vereine zwischen deinem Wechsel in der Jugend und deinem Wechsel im
Herrenbereich verändert?
Beide Vereine haben sich verändert, vor allem der Jahn. Mit dem neuen Trainingsgelände, dem Stadion, sind ganz
wichtige Strukturen geschaffen worden. Der Verein ist ganz anders aufgestellt, das war ein riesen Fortschritt. Bei 1860 sind die Bedingungen kleiner, aber auch gut, vom Stadion einmal abgesehen. Das ist kultig, aber perspektivisch keine Lösung, mit der sie Erfolg haben können.
Du hast beide Vereine in der Krise erlebt, wie geht man damit um, wenn es nicht immer bergauf geht?
Man muss immer an sich glauben, weiter arbeiten. Klingt wie eine Floskel, ist aber so. Immer alles reinhauen, nicht
für sich, sondern für die Menschen, die für den Verein arbeiten. Aufgeben darf man nicht, letztlich wird Fleiß belohnt.
Wo siehst du die Vereine am Ende der Saison?
Sechzig wird die Klasse halten, daran habe ich keine Zweifel. Der Jahn hatte ein kleines Tief, ist aber stark genug und wird aufsteigen.
Hand aufs Herz: Lieber eine Halbe im Hofbräuhaus oder beim Kneitinger?
Die Frage stellt sich nicht. Kneitinger!
Was verbindest du mit Heimat?
Mit dem Begriff weniger einen Ort, sondern die Menschen, die man braucht, um glücklich zu sein. Die Familie. Ich bin durch den Fußball weit rumgekommen. Ich weiß zu schätzen, was es bedeutet, wenn man nach Hause kommt, zu den Eltern, Geschwistern, Freunden. Das ist für mich Heimat.
Der Blick auf den Gegner
Hasan Ismaik – immer noch am Spalten
Seit der jordanische Unternehmer Hasan Ismaik 2011 als Investor bei den Löwen eingestiegen ist und Millionen Euro in den Verein pumpt, wirkt der schon immer polarisierende Verein wie ein Tollhaus. So mancher Fan musste schmunzeln, als der Gönner verkündete: „Die Fans sind unser wertvollstes Gut. Ihre Meinung ist mir sehr wichtig“ und dabei seine E-Mail anhängt, damit man den Verein gemeinsam voranbringen könne. Gleichzeitig startet er aber immer wieder Kriege gegen die aktive Fanszene und den Stammverein. So etablierte der Investor in einem wichtigen Gremium der KGaG eine Pattsituation, es läuft also nichts ohne Investor. Diese Situation wird in der Gegenwart auch immer wieder ausgenutzt, so konnten Bereitssitzungen aufgrund fehlender Anwesenheit der Investorenseite nicht stattfinden und so liegen auch Beschlüsse auf Eis. Dazu wirkt es so, als würde man eine Politik des Machterhalts betreiben, um die Fanszene zu zitieren: „Stattdessen werden Darlehen zu spät umgewandelt, Budgets zu spät freigegeben, Entscheidungen in den Gremien blockiert, Vereinsvertreter öffentlich angegangen, kostenlose (!) Hilfen nicht angenommen und fragwürdige Personalien durchgedrückt. Priorität ist immer, die eigene Machtposition zur Schau zu stellen und zu festigen (…).“
Dieses Verhalten sieht man allerdings auch schon seit Jahren. Unvergessen, wie Hasan Ismaik Journalisten angriff und ihnen vorwarf, dass sie absichtlich gegen den Verein arbeiten und nur Anteile kaufen wollen oder wie er einer Journalistin plötzlich den Trainer der zweiten Mannschaft zum Interview schickte und ihr die Akkreditierung entziehen ließ. Das Verständnis von Pressefreiheit ist für den Mann aus Jordanien wohl eher nicht gegeben. Insgesamt hält er wenig von anderen Meinungen, eine Fahne, worauf sein Gesicht durchgestrichen wurde, hat man schlichtweg verboten. „Ich lasse mir nicht den Mund verbieten“, das sagte übrigens auch Ismaik selbst, obwohl er anderen sehr gerne den Mund verbietet. Die Vereinsverantwortlichen wirken daraufhin oft eher unglücklich und in jedem Statement ist spürbar, wie sehr man zwischen den Stühlen steht. Einerseits braucht man ihn, da man sonst fast überall beschlussunfähig ist, anderseits weiß man, dass die Fans nicht Unrecht haben.
Und die Sache mit 50+1
Eine Regel, welche die Seele des deutschen Fußballs darstellt, wirkt so infrage gestellt wie noch nie. Bald könnten Urteile folgen, welche schwere Folgen für diese Regelung haben können, jedoch ist es Fakt, dass dies den Einfall von Investoren weitgehend verhindert. „Weitgehend“, da der Fall TSV 1860 München zeigt, wie es trotz 50+1 passieren kann. So präsentierte der Investor auch kurzerhand Trainer und entließ etwa Kosta Runjaić 2016 über den Aufsichtsrat mit Verwandten sowie einem doppelten Stimmrecht und somit einer absoluten Mehrheit. Problematisch ist dies auch, da der Aufsichtsrat für solche Entscheidungen nicht vorgesehen ist. Gleichzeitig fallen diese Entscheidungen gerade im täglichen Vereinsleben immer wieder, aber dieser Fall zeigt, wie weit er gehen kann.
„Die Sport-Bild veröffentlichte Details aus dem Vertrag des Finanz-Geschäftsführers Oliver Mueller. Dieser war von den e.V.-Vertretern mittels der 50+1-Regel, die den Stammvereinen die Entscheidungshoheit sichert, ins Amt gebracht worden. Das stieß den Investorenvertretern selbstredend sauer auf, und nun fragten sie beim Deutschen Fußball-Bund an, ob die Anstellung überhaupt rechtmäßig sei. Der TSV 1860 hat nämlich für den Zeitraum bis zum 30. Juni keinen Vertrag mit Mueller geschlossen, sondern mit der Firma SCK GmbH mit Sitz in Bergisch Gladbach, dessen Gesellschafterin seine Frau Claudia Müller ist.”, schrieb die SZ vor wenigen Wochen zum neuesten Fall der Causa Ismaik. Die Investorenseite erregt also indessen eine Debatte pro 50+1, also genau die Regel, die man am liebsten abschaffen würde. Gleichzeitig haben mehrere Experten bestätigt, dass dieser Vertrag mit den herrschenden Regeln vereinbar seien. Dennoch steigen im Verein erneut Diskussionen um den Zustand, dabei schaukeln sich die Seiten immer wieder auf und Respekt fehlt nach jahrelanger Vertrauensbrüche sowieso.
Diese Streitigkeiten werden zweifelsohne auch im Netz ausgetragen, so ist „Die Blaue 24″ eine eher vom Investor geprägte Seite, während „Sechzger.de“ an der Seite des e. V. steht, dahingehend wird auch gegeneinander auf Kosten des Vereines berichtet. Immer wieder findet man Artikel, wo die eine Seite gegen die andere hetzt und Falschnachrichten unterstellt. Immer wieder wirkt es so, als würde es den handelnden Personen eher um „das Recht haben“ als um den Verein gehen, was für eine Berichterstattung ein eher schwieriges Motiv darstellt.
Es lohnt sich der Blick in Kommentarspalten, selbst nach Siegen schimpft man eher über die andere Seite, anstatt sich über die drei Punkte zu freuen. Es geht beim TSV 1860 München wie so oft um Macht und die Vergangenheit.
Klage gegen eigene Fans
Aber nicht nur Fans streiten gegen Fans, selbst der eigene Verein versucht, sich in bestimmte Diskussionen einzumischen. So deckte „Sechzger.de“ eine fragwürdige Transferstrategie um Marc-Nicolai Pfeifer (mittlerweile nicht mehr im Verein) auf, wobei Spieler dazu gedrängt wurden, dass sie ihre Berater wechseln, um nach Giesing gehen zu können. Dies wurde dem Blog dazu von mehreren Beratern unabhängig bestätigt. Schlimm genug, aber ein Berater von Ex-Trainer Jacobacci empfahl dabei gleich einen neuen Berater. Eine eher fragwürdige Methodik.
Der Verein reagierte aggressiv und wollte Rechtsmittel gegen die Berichterstattung einlegen, was aber aufgrund der Faktenlage und der Pressefreiheit eher schwierig gewesen wäre. Ein Strippenzieher war wohl Pfeiffer, Vertrauter von Ismaik, der von Präsident Robert Reisinger nie mitgetragen wurde. „Um die Kaderplanung in eigener Regie durchführen zu können“, so sprach Reisinger über diese externen Berater, gleichzeitig arbeiteten weitere Investor-Vertraute wie Antony Power, welcher keinerlei Erfahrung im Fußball aufweist, mit.
Gleichzeitig wurden sich die Parteien lange nicht einig, wer Gorenzel in der sportlichen Leitung beerben soll. Immer wieder entstanden Patt-Situationen oder man bestand so lange auf sein Recht, ehe Kompromisse zwecklos waren. An einem Strang ziehen – das gibt es beim TSV 1860 München schon lange nicht mehr.
Die Causa Zwarts
Übrigens wechselte auch Joel Zwarts genau in diesem Transfersommer nach Giesing, hierzu Sechzger.de: „Stand Zwarts bei seinem Wechsel nach Regensburg noch bei der Agentur LAFOR unter Vertrag und wurde vom ehemaligen niederländischen Nationalspieler Regi Blinker vertreten, so fungierte beim Transfer zum TSV 1860 die Agentur GSA als Berater. Eine Anfrage bei Regi Blinker zu den Umständen dieses Wechsels blieb bislang leider unbeantwortet. (…) Und es wird noch mysteriöser: Eine kurze Recherche ergibt, dass die GSA (Goal-Sports Agency) zwei unterschiedliche Adressen ausweist, die allerdings ebenfalls mehr Fragen aufwerfen, als Antworten liefern. Eine Adresse gehört zu einem normalen Wohnhaus in Gorinchem (Niederlande), die zweite genannte Adresse liegt in einem Industriegebiet in Leuven/Vuren (Niederlande), auf dem laut Google Maps eine Spedition beheimatet ist.“
Auch die finanziellen Rahmenbedingungen werfen Fragen auf, so musste 1860 nach verschiedenen Medienberichten rund 50.000 € nach Regensburg als Grundsumme überweisen, allerdings werden wohl auch für jeden weiteren Einsatz gegen den Jahn jeweils weitere 50.000 € fällig. Ob er nun am Sonntag aufläuft, bleibt in meinen Augen fraglich, so würde es in Giesing bestimmt niemand gerne sehen, wenn sich die Transfersumme plötzlich verdoppelt.
Dennoch ist diese Causa etwas nervig, denn Joel Zwarts hat uns getäuscht. Und wir haben uns leider täuschen lassen. Er sei, so hieß es noch vor seinem Wechsel, richtig heiß auf den Jahn. Doch derlei Worte sind eben schnell über die Lippen gekommen, um alle zu besänftigen, letztlich sind es aber die Taten, die darüber entscheiden, welches Ansehen man genießt.
Einmal mehr mussten wir Fans diese bittere Pille der Einsicht schlucken – und erkennen, dass das persönliche Befinden allein, alles andere inklusive das Vertrauen seitens der Verantwortlichen übertönt. Kann man dafür Verständnis entwickeln? Ich kann es nicht, viele andere können es ebenso wenig – auch heute. Niemand ist größer als der Verein, Zwarts kam damit wohl nicht klar. Heute ist aber alles wieder gut. Wir haben ein Team aus Freunden – es wird gekämpft und danach auch mal gefeiert. So soll es doch sein, oder nicht? Zwarts als Alphatier hätte weder in die Spielphilosophie noch in das Team gepasst. Somit tut dieser Transfer im Nachhinein nicht weh, vielleicht war es sogar die entscheidende Teambuilding-Maßnahme.
Meinung: Hochmut kommt vor dem Fall
Wer jetzt an dieser Stelle der grundsätzlichen Meinung ist, dass man nicht auf am Boden Liegende tritt und es doch eigentlich schade um diesen ach so großen Traditionsverein ist, liest jetzt besser nicht weiter. Denn meines Erachtens muss man trotz Tradition differenzieren.
Diese Jahre sind eine einzige, aber auch herrliche Abrechnung mit dem TSV 1860 München und vor allem der Investorenseite. Vorbei die Zeiten, in denen die Löwen unantastbar waren. Schuld sind sie selbst, denn sie haben für das Geld weggeschaut. Die Blauen sind mittelfristig ein echter Abstiegskandidat und offenbar fehlen ihnen sowohl fähige Personen, als auch das notwendige Geld, um daran etwas was zu ändern. Trotz Investor, der dreht den Geldhahn weiter zu.
Dem FC Bayern werfen sie immer wieder Großkotzigkeit und Geldgeilheit vor, aber sind wir uns mal ehrlich, wie blickt denn 60 auf den Jahn? Man könnte mit dem Verein Mitleid haben, gerade die standhafte aktive Szene würde dies verdienen (denn die wollten den Investor von Anfang an verhindern), aber es gibt auch Leute im Verein, welche an den Zielen des Investors weiterhin und trotz der Skandale hängen. Es lohnt sich mal wieder ein Blick in Foren: “Die Zwerge aus der Oberpfalz”, es wird sich immer bemüht zu betonen, wie klein wir sind. Sind wir ja auch, aber 1860 ist auch kein Verein aus der Champions League, auch wenn sich einige so benehmen. Man wollte mit Ismaik den sportlichen Niedergang des Vereines verhindern, das Ergebnis war aber insbesondere ein identitärer Niedergang – einige fühlen sich nicht mehr wohl in Giesing. Wenn dein Verein plötzlich ein anderer ist, dann lässt auch die Liebe nach, ist doch klar.
Der TSV könnte eine große Wucht haben, wenn der Verein über allem stehen würde, wenn nicht die Grabenkämpfe aufrechterhalten würden und es immer noch Personen gäbe, die den Investor verteidigen. So muss man leider sagen: Wie es den Blauen sportlich geht, das ist auch gut so. Sich etwas anderes zu wünschen, ist gleichbedeutend mit einem Siegeszug des Investors. Und das muss verhindert werden. 1860 bleibt ein gutes Beispiel, weswegen 50+1 nie fallen darf und es gleichzeitig Reformen geben muss, um solche Einfalltore zu schließen.
Die Abschaffung oder eine weitere Lockerung der 50+1-Regel würde den deutschen Fußball grundlegend verändern. Der Wettbewerbsdruck würde sich für alle Clubs unweigerlich erhöhen – es würden zig Geldgeier vor den Geschäftsstellen auftauchen, aber wer sagt zu Geld schon nein? Was danach kommt, wird oft vergessen. Oft geht es nur um Macht, das Geld ist nur ein Mittel der Anlockung.
Die Finanzkraft mancher Eigentümer wäre plötzlich wichtiger als die solide und saubere Arbeit Anderer. Am Ende geht es um noch mehr Geld, das immer wieder an die gleichen Akteure durchgereicht wird. Für uns Fans wird dadurch nichts besser und die gesellschaftliche Verantwortung wird dadurch nicht ansatzweise gestärkt. Im Gegenteil. In München ist alles schlechter geworden, neben Misserfolg fehlt auch das Vertrauen untereinander und manche Fans wissen gar nicht mehr, ob sie noch den gleichen Verein unterstützen oder mit einem Konkurrenten reden. So kann man sich nur nach an den Erfolgen der Vergangenheit hochhecheln, um den Mythos 1860 leben zu lassen.