Müde gesungen

Resignation breitet sich aus: Das Umfeld scheint sich mit dem Abstieg des SSV Jahn abgefunden zu haben. Doch das ist gefährlich. (Foto: Gatzka)

Es ist stiller geworden in Regensburg. Nicht auf den Rängen – dort singen sie noch, wie sie es immer tun, treu und trotzig. Aber drumherum. Im Stadionumlauf, in den Wirtshäusern, auf den Online-Plattformen. Der laute Frust ist leiser Wut gewichen, die hitzigen Diskussionen über Lösungen sind müden Schulterzuckern gewichen. Der Abstiegskampf ist längst kein Kampf mehr. Er ist eine Aneinanderreihung von Ergebnissen, die man mit einem müden Blick aufnimmt und weiterscrollt.

Die Situation ist fast noch frustrierender als der schleichende Niedergang in der letzten Zweitligasaison. Denn es ist nicht nur das Sportliche, das einem die Luft nimmt – es ist das Gefühl, dass es einfach keinen Grund mehr gibt, an eine Wende zu glauben. Der Funke, der noch vor Monaten gezündet wurde, ist erloschen. Was bleibt, ist das stumpfe Weiterspielen, das Abarbeiten von Pflichtspielen – auf dem Platz und auf den Tribünen. In einem gesunden Verein muss diskutiert und gegrantelt werden.

Der Moment, in dem man aufhört, sich aufzuregen

Resignation im Fußball ist ein schleichendes Gift. Sie kommt nicht mit einem Paukenschlag, nicht mit einer einzigen, vernichtenden Niederlage. Sie sickert langsam ein, Tropfen für Tropfen. Es beginnt mit einem frustrierten Nachhauseweg nach einem unglücklichen Punktverlust, mit dem Gedanken: „Wieder so ein Spiel.“ Dann mit einer geringeren Vorfreude auf das nächste Wochenende. Man erwischt sich dabei, wie man vor dem Anpfiff noch Optimismus vortäuscht, aber insgeheim schon darauf wartet, dass es wieder schiefgeht. Und irgendwann ist da nur noch dieses dumpfe Gefühl der Gleichgültigkeit.

Genau das passiert gerade in Regensburg. Man schaut sich die Spiele noch an, weil man es eben immer getan hat. Man fährt noch ins Stadion, weil es zum Wochenende gehört. Aber wenn der Jahn verliert, bleibt der große Frust aus. Es gibt keine hitzigen Diskussionen mehr auf der Heimfahrt, keine lauten „Was wäre wenn?“-Debatten in den Kneipen. Die Niederlagen sind zu alltäglich geworden, um sie noch groß zu hinterfragen. Nicht, weil es an Meinungen fehlt – sondern weil es sich anfühlt, als würde ohnehin nichts mehr helfen.

Es geht längst nicht mehr nur um Tabellenplätze. Es geht um das Gefühl, dass alles festgefahren ist. Dass keine Maßnahme, keine Umstellung, kein neuer Spieler, kein neuer Trainer noch wirklich etwas ins Rollen bringt. Dass jeder Lösungsansatz nur noch ein Pflaster ist, das nicht mehr hält. Und wenn sich dieses Gefühl einmal eingenistet hat, wird es gefährlich – für die Mannschaft, aber auch für das Umfeld.

Denn sind wir uns ehrlich: Warum lieben wir diesen Verein? Lieben wir ihn, weil er in der 2. Liga spielt? Oder weil wir gelernt haben, was es heißt, ein Jahnfan zu sein? Weil es nie leicht war, aber weil wir immer wussten: Dieser Klub lebt durch die, die sich für ihn zerreißen – auf dem Platz, auf den Rängen, in den Diskussionen darüber, wohin er sich entwickeln soll. Diese Leidenschaft braucht den Streit, das Ringen um Ideen, das Hoffen auf einen anderen Weg. Sie braucht Menschen, die sich nicht nur auf die Tribüne stellen und singen, sondern die auch fordern, die hadern, die manchmal auch meckern, weil sie nicht anders können, als sich Gedanken über diesen Verein zu machen.

Aber das ist ein Geben und Nehmen. Und was passiert, wenn auf der anderen Seite nichts mehr kommt? Wenn das Feuer nur noch ein Glimmen ist und der Verein selbst nicht mehr ausstrahlt, dass er diesen Kampf noch annimmt? Dann bleibt irgendwann nur noch die Resignation – und das ist der Moment, in dem ein Klub mehr verliert als nur eine Liga.

„Mentaltrainer? Das brauchen wir nicht.“

Vor ein paar Tagen sprach der Sportdirektor über die Situation. Ein Mentaltrainer sei nicht nötig, hieß es. Keine Kopfsache, sondern eine Frage der Qualität, des Kaders, der Leistung auf dem Platz. Ein Satz, der beiläufig fiel, als wäre es das Normalste der Welt. Aber wer die letzten Wochen mit diesem Verein erlebt hat, wer gesehen hat, wie sich Spiele auf immer gleiche Weise aus der Hand gleiten lassen, der weiß: Es ist längst eine Kopfsache.

Was passiert mit einer Mannschaft, die Woche für Woche kämpft, sich Chancen erarbeitet, alles versucht – und am Ende doch wieder verliert? Was passiert, wenn aus dieser Frustration irgendwann Resignation wird? Wenn das Selbstverständnis, dass man ein Spiel noch drehen kann, langsam zerbröckelt? Dann passiert das, was gerade beim Jahn passiert: Ein Gegentor fühlt sich nicht mehr an wie ein Rückschlag, sondern wie eine unausweichliche Entwicklung. Die Schultern sacken nach unten, der letzte Biss fehlt, weil keiner mehr daran glaubt, dass es noch einen Unterschied macht. Bei uns bedeutet ein Gegentor nicht der Rückstand – sondern meist direkt der Verlust von 3 Punkten.

Doch genau hier liegt das Problem. Wenn es nur um Qualität ginge, warum kippen dann so viele Spiele nicht durch herausragende Einzelaktionen, sondern durch Nuancen die sich addieren? Warum werden Teams, die gefestigt sind, die mentale Widerstandskraft haben, in solchen Momenten eben nicht nervös? Warum sind es immer wieder die gleichen Mannschaften, die in engen Spielen den Lucky Punch setzen – und immer wieder die gleichen, die auseinanderfallen?

Die Wissenschaft ist sich längst einig: Mentale Stabilität ist trainierbar. Eine Studie der Universität Leipzig (2019) zeigt, dass Mannschaften, die gezielt mentale Techniken nutzen, ihre Wettkampfleistung um bis zu 12 % steigern. Die Deutsche Sporthochschule Köln (2021) hat belegt, dass Teams mit regelmäßiger psychologischer Betreuung signifikant seltener späte Gegentore kassieren. Und die Harvard-Universität (2022) hat herausgefunden, dass Spieler, die mental auf Drucksituationen vorbereitet werden, eine 15 % höhere Erfolgsquote in engen Spielen aufweisen.

Es geht also nicht um Esoterik oder „Psychospielchen“. Es geht darum, eine Mannschaft so vorzubereiten, dass sie in den entscheidenden Momenten nicht auseinanderbricht. Dass sie eben nicht mit dem Gefühl auf dem Platz steht, dass es „eh wieder passiert“. Dass sie den Druck aushält, statt ihm zu erliegen.

Und doch wird Mentaltraining in Deutschland oft belächelt. Als etwas für „Weicheier“, als etwas, das man nicht braucht, solange man „hart genug im Kopf“ ist. Eine dieser alten Fußball-Weisheiten, die sich halten, weil sie so schön einfach klingt – und weil sie niemand hinterfragt. In England oder Spanien ist es längst Standard, dass Sportpsychologen fester Bestandteil des Trainerteams sind. Dort wird nicht nur an Athletik und Taktik gefeilt, sondern auch an der mentalen Widerstandskraft. In Deutschland dagegen? Da gilt Sportpsychologie noch immer als unnötiger Luxus, als ein Nice-to-have, das in der Budgetplanung gerne hinten runterfällt.

Ich liebe die Detailarbeit in der Videoanalyse. Ich liebe es, Spiele zu sezieren, Bewegungen zu entschlüsseln, Muster zu erkennen. Aber wenn man ehrlich ist, dann ist Sportpsychologie noch viel wichtiger. Denn was bringt die beste Analyse, wenn die Spieler im entscheidenden Moment erstarren? Wenn ihnen nach einem Gegentor der Mut fehlt, sich zu wehren? Wenn das, was man ihnen gezeigt hat, in Drucksituationen nicht mehr abrufbar ist?

Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen einem Videoanalysten und einem Sportpsychologen – ich würde immer den Sportpsychologen nehmen. Weil Spiele nicht nur im Kopf entschieden werden, sondern vor allem dort verloren gehen. Und weil das, was auf dem Platz passiert, viel weniger mit Technik und Taktik zu tun hat, als viele glauben.

Ob es zu spät ist, jetzt noch umzudenken? Vielleicht. Aber das kategorische Ablehnen solcher Ansätze ist mindestens fahrlässig. Denn wer Resignation nur als eine logische Konsequenz von Niederlagen sieht, der übersieht, dass sie sich aufhalten lässt – wenn man bereit ist, daran zu arbeiten. Mentale Stärke ist keine Frage von Charakter oder Kaderplanung – sie ist eine Frage von Training. Wer das ignoriert, verliert mehr als nur Punkte.

Unser Gespräch mit Frau Dr. Wergin: https://www.youtube.com/watch?v=j_DNFsf08Es

Wo ist die Wut geblieben?

Das Schlimmste ist: Das Umfeld gewöhnt sich auch daran. Erst ist es nur ein resigniertes Schulterzucken nach Abpfiff. Dann ein leiser Seufzer, wenn der Ball zum wiederholten Male am Pfosten landet, statt im Netz. Irgendwann bleibt selbst das aus. Kein Wutausbruch mehr, keine hitzige Diskussion über vergebene Chancen oder taktische Fehler. Nur noch ein kurzer Blick auf die Tabelle – und weiter geht’s.

Wo sind sie geblieben, die „Jetzt-erst-recht“-Momente? Das unerschütterliche Selbstverständnis, dass der Jahn sich niemals aufgibt? Früher hätte es nach einer Niederlage wenigstens noch ein paar hitzige Wortgefechte danach gegeben. Früher hätte man sich an der Theke oder online angeschrien, wer schuld ist, wer raus muss, was verdammt nochmal passieren muss, damit sich etwas ändert. Und jetzt? Jetzt läuft alles einfach weiter, in einer seltsamen Mischung aus Gleichgültigkeit und Ohnmacht.

Vielleicht ist es verständlich. Die letzten Jahre waren eine emotionale Berg- und Talfahrt. Der Aufstieg, den kaum einer für möglich gehalten hatte. Die Jahre in Liga 2, in denen man sich immer wieder gegen vermeintlich größere Gegner behauptete. Das Zittern am Ende der Saison, das Überleben in letzter Sekunde – immer mit Kampf, immer mit Herz. Und jetzt? Ein Absturz, der sich nicht einmal wie ein richtiger Sturz anfühlt, sondern wie ein langsames Absinken, als würde der Verein in Zeitlupe in den Abgrund rutschen.

Man verliert nicht mit Karacho. Nicht mit einem letzten, verzweifelten Aufbäumen, das zumindest noch einmal Hoffnung geweckt hätte. Sondern leise. Stück für Stück. Spiel für Spiel. Und genau das ist das Problem.

Es geht nicht darum, diese Saison schönzureden. Vielleicht ist sie sportlich wirklich nicht mehr zu retten. Aber es geht darum, wie man aus ihr herausgeht. Und gerade sieht es so aus, als ob alles einfach durchläuft. Als ob man ohne Widerstand in die nächste Liga wechselt – mit einem Achselzucken, mit Gleichgültigkeit, mit der stillen Akzeptanz, dass es halt so ist.

Das Letzte, was bleibt

Aber noch gibt es sie – die letzten Funken. Die letzten, die sich nicht abfinden wollen. Die, die trotzdem weiterfahren, trotzdem weiter singen, auch wenn es aussichtslos erscheint. Die, die sich selbst belügen, wenn sie sagen, dass sie eh nichts mehr erwarten, nur um dann doch wieder nervös auf die Uhr zu schauen, wenn es in die Schlussminuten geht.

Doch all das reicht nicht, wenn es nicht auf dem Platz beginnt. Die Mannschaft muss in diesen Fragen den ersten Schritt machen – das tat sie nicht. Nicht die Fans, nicht der Gegner, der sich vielleicht dumm anstellt. Sondern die Spieler, die Woche für Woche in diesem Abwärtssog stehen und ihn gerade einfach mitnehmen, anstatt ihn zu durchbrechen – es reicht längst nicht mehr, dass man kurz vor der Hans-Jakob-Tribüne schulterzuckend abzieht.

Ja, vielleicht ist es zu spät. Vielleicht kann nichts mehr daran ändern, dass diese Saison sportlich eine verlorene ist. Aber wie man aus ihr herausgeht, wird über viel mehr entscheiden als nur über den Tabellenplatz. Es geht nicht nur darum, ob es den letzten Strohhalm noch gibt – sondern darum, ob dieser Verein in den kommenden Jahren überhaupt wieder aufstehen kann.

Man muss nur nach Osnabrück schauen. Letztes Jahr in der 2. Liga abgestiegen, als Mannschaft, die sich mit jedem Spiel ein bisschen mehr in die Hoffnungslosigkeit spielte. Und dann? Der direkte Absturz in Liga 3. Statt Wiederaufbau: Zeitweise letzter Platz, immer noch gefangen in der Lethargie, die sich in der vorherigen Saison ausgebreitet hatte. Genau das droht auch dem Jahn, wenn diese Mannschaft jetzt nicht endlich ein dauerhaftes Zeichen setzt.

Wenn dieses resignierte „Wir nehmen es halt hin“ sich einmal festsetzt, dann trägt es sich weiter. Dann ist ein Abstieg nicht das Ende, sondern nur der Anfang eines noch tieferen Falls. Ob ein Aufbäumen reicht? Niemand weiß es. Vielleicht wird man am Ende trotzdem absteigen. Aber wenn es passiert, dann hoffentlich nicht mit hängenden Köpfen und einer lethargischen Akzeptanz des Schicksals. Sondern mit dem Bewusstsein, dass man sich bis zum Schluss gewehrt hat. Dass man alles versucht hat, mit allem, was noch da war.

Denn wenn eines den Jahn immer ausgezeichnet hat, dann war es nicht die Masse an Erfolgen. Es war nicht der Glanz, nicht die großen Namen. Es war der Trotz. Die pure Weigerung, sich seinem Schicksal zu ergeben. Und vielleicht ist genau das die letzte Hoffnung, die bleibt.

Denn wer glaubt, dass mit einem Abstieg einfach ein Schlussstrich gezogen wird und man in der neuen Saison bei null beginnt, der täuscht sich gewaltig. Stimmungslagen gehen über Saisons hinweg. Die Mentalität, mit der man diese Saison beendet, wird die sein, mit der man in die nächste startet. Ein Team, das sich jetzt aufgibt, wird auch in der kommenden Saison nicht plötzlich auf Knopfdruck funktionieren – egal wie viele Spieler dann noch da sind.

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