Vielleicht der Anfang vom Vielleicht

Nach dem 0:1 wirkte alles wie zuletzt – fahrig, offen, verloren. Doch der Jahn dreht das Spiel, schlägt Nürnberg 2:1 und ist zurück. Noch nicht gerettet, aber wieder am Leben. (Foto: Köglmeier)

Da kommt also der 1. FC Nürnberg nach Regensburg – Aufstiegsaspirant, Traditionsverein, ausgestattet mit mehr Geld, mehr Punkten, mehr Bundesligaerfahrung und einer Prise fränkischer Arroganz. Und natürlich mit dem unsäglichen 8:3 aus dem Hinspiel im Gepäck. Ein Spiel, das uns nicht nur drei Punkte kostete, sondern gleich auch den Trainer, den letzten Rest Selbstverständnis – und eine ganze Menge Nerven. Und ein Stück heile Welt gleich mit.

Man ist geneigt, schon vor dem Anpfiff am Sonntagnachmittag innerlich abzuwinken: Zu klar die Kräfteverhältnisse, zu schmerzhaft die Erinnerung, zu trüb die Stimmungslage. Die Gespräche mit anderen Jahnsinnigen vorm Stadion bestätigten das: Niemand rechnete ernsthaft mit einem Sieg. Die Hoffnung – sie war tot. Und doch war klar: Eine weitere Lehrstunde können wir uns nicht mehr leisten. In unserer Lage zählen keine Achtungserfolge, keine guten Ansätze, keine tapferen Niederlagen – es zählen nur noch Siege.

Meine Erwartungen lagen irgendwo zwischen „Bitte nicht schon wieder acht Stück“ und „Vielleicht wird’s ja wenigstens kämpferisch“. Gleichzeitig war klar: Wir müssen punkten. Ulm hatte am Vortag gewonnen, Braunschweig und Münster würden sich gegenseitig was abnehmen – irgendwer da unten würde also wieder was holen. Und wir? Wir dürfen eben nicht mehr leer ausgehen.

Aber vielleicht gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Die Vorzeichen waren alles andere als rosig: Innenverteidiger Louis Breunig – ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub – musste verletzt passen. Der Kader? Auf Kante genäht. Der Gegner? Zwar ohne Tzimas, aber mit genug Qualität aus der zweiten Reihe, um trotzdem jederzeit ein Spiel zu entscheiden. Andreas Patz also mal wieder zum Improvisieren gezwungen. Der Matchplan? Nah dran an den letzten Wochen. Die Aufstellung? Nicht ohne Risiko – Pröger draußen, dafür Hottmann und Ganaus von Beginn an. Und die Hoffnung? Eher eine flackernde Erinnerung als ein echtes Gefühl.

Erste Halbzeit – bekannte Muster, alte Probleme

Wie so oft in den letzten Wochen beginnt der Jahn bemüht. Bemüht, mutig anzulaufen. Bemüht, die eigenen Unsicherheiten wegzupressen. Bemüht, Kontrolle zu simulieren. Wie so oft in den letzten Wochen beginnt aber vor allem: der Gegner besser.

Es ist dieser stille Widerspruch, der sich durch die erste Halbzeit zieht: viel Wille, wenig Struktur. Viel Aufwand, wenig Zugriff. Der Club lässt den Ball laufen, lässt uns laufen, ist ballsicherer, in den Zwischenräumen cleverer, schneller im Kopf. Beim Jahn dagegen: Hektik. Ein überdrehter Rhythmus, der jede Offensivaktion im Keim erstickt. Es wirkt wie ein zu schnell gespieltes Lied – mit schlechter Tonabnahme.

Dann die erste kalte Dusche: Nach einer Ecke kommt Knoche am zweiten Pfosten völlig frei zum Kopfball, Pollersbeck streckt sich und lenkt die Kugel sehenswert über die Latte (10.). Eine Minute später klingelt’s. Ballverlust Hottmann im Aufbau, Drexler schaltet, Castrop bekommt rechts zu viel Raum, spielt scharf in den Fünfer – und Antiste trifft mit dem ersten Kontakt ins lange Eck (11.). Ein Konter wie aus dem Lehrbuch – aus unserer Sicht eher aus dem Albtraumarchiv.

„Wir sind in der ersten Halbzeit überhaupt nicht ins Spiel gekommen, sind phasenweise nur hinterhergelaufen“, sagte Andi Patz später. „Wir hatten kaum Zugriff und Probleme, in die Zweikämpfe zu kommen.“ Treffender kann man’s nicht sagen.

Kühlwetter versucht es aus 20 Metern (18.), Ganaus taucht nach Ananou-Zuspiel einmal gefährlich auf, bringt den Ball aber nicht am Abwehrspieler vorbei – der Schiedsrichter entscheidet auf Foulspiel an Torwart Reichert und nimmt dem Moment die Brisanz (32.).

Nürnberg kontrolliert das Spiel mit 61 % Ballbesitz, 86 % Passquote und einer überlegten Ruhe – doch macht daraus erstaunlich wenig. Castrop vergibt einen Konter (30.), Lubach scheitert per Distanzschuss an Pollersbeck (45.+2).

Pausenpfiff. Adamyan rennt zur Trainerbank und schreit: „Alle schlafen wieder. Alle!“ So ehrlich muss man sein: Ja, das taten sie. Und es stand nur 0:1. Auch das – eher Glück als Verdienst.

Zweite Halbzeit – Patz stellt um, Ganaus dreht auf

Und dann wacht der Jahn auf. Oder wird aufgeweckt. Vielleicht durch Adamyan. Vielleicht durch Patz. Vielleicht auch einfach, weil alles andere nicht mehr ging. Später wird von Noah Ganaus die Rede sein, Patz habe aber in der Pause keine Wutrede gehalten, vielmehr wollte man bei 0 anfangen. Das hat geklappt.

Andreas Patz stellt um. Aus dem 4-3-3 wird mit Bulic in der Zentrale eine 5-2-3-Anordnung – gegen den Ball mit klarer 1-gegen-1-Zuordnung über das ganze Feld. Hohes Risiko, klares Signal: Jetzt oder nie. „Rasim hat uns mit seiner Spielweise und Mentalität gutgetan. Wir haben höher gepresst, sind in die Duelle gekommen und hatten viele Ballgewinne“, so Patz. „Und endlich mal Tiefgang.“

Suhonen, in Hälfte eins noch blass, blühte auf: „Ich habe Zweikämpfe gewonnen, dann habe ich Selbstvertrauen gewonnen. Wenn die Mannschaft besser spielt, tu ich das auch.“ Immer wieder löste er sich in engen Räumen, ging mutig ins Eins-gegen-Eins, brachte Dynamik ins Spiel. Plötzlich setzte der Jahn Nadelstiche – und hatte wieder Einfluss aufs Geschehen.

Dann geht alles schnell: Ananou schickt Ganaus auf rechts, dessen scharfer Ball in die Mitte rutscht durch – Flick will klären, trifft aber ins eigene Tor (47.). Fünf Minuten später: Hottmann flankt punktgenau, Ganaus setzt sich durch – und wuchtet den Ball unter die Latte (55.).

2:1. In acht Minuten gedreht.

„Wir sagten in der Kabine: Wir haken die erste Halbzeit ab. Jetzt ist eine neue Halbzeit“, so Ganaus. „Der Glaube ist bei uns immer da. (…) Wenn möglich, müssen wir jedes Spiel gewinnen.“

Was dann folgt? Nervenfußball. Nürnberg feuert am Ende 14 Torschüsse ab, der Jahn bringt wie die Gäste vier aufs Tor – aber Pollersbeck hält alles, was haltbar ist. Und manches, was nicht so aussieht. Immer ist ein Fuß dazwischen, immer wirft sich jemand rein. Der Jahn verteidigt kollektiv. Und konsequent.

Dann nochmal Ganaus, frei durch – aber zu viel Zeit zum Nachdenken. Statt den Deckel draufzumachen, bleibt er in Gruber hängen (71.). Kühlwetter holt sich Gelb ab und fehlt gegen Elversberg (72.). Pröger und Huth kommen (86.), um Laufwege zu schließen – und Zeit von der Uhr zu nehmen.

89. Minute: Flanke von rechts, Forkel steht frei – und semmelt drüber. Ganz Regensburg hält kurz den Atem an. Dann ist klar: Das war’s.

Pollersbeck bejubelte etwas sehr ausgelassen das 1:1 direkt vor der Nürnberger Kurve – und wurde fortan bei jedem Ballkontakt konsequent ausgepfiffen. Er dürfte’s verkraftet haben. Denn am Ende war er einer der Matchwinner: hielt, was zu halten war, strahlte Ruhe aus, wo sie dringend gebraucht wurde, und ließ die letzten Minuten souverän runterlaufen. Der Patzer aus den Vorwochen? Überschrieben. Ein Spiel, das auch für ihn einen Haken setzt. Dieses Mal darf man ohne Ironie sagen: Darauf kann man stolz sein.

Zwischen Hoffnung und Deja-Vus

Der Club hatte das Spiel im Griff, war klar überlegen, führte verdient – und zerfiel dann in einer Mischung aus leichter (vielleicht anfangs berechtigter) Selbstüberschätzung, Hektik und permanenter Empörung über den Schiedsrichter. Jeder Pfiff gegen sie wurde zum Drama. Während sie diskutierten, kämpfte der Jahn weiter. „Man hat uns den Schneid abgekauft, das Spiel hat ‘aua’ gemacht“, erklärte Miroslav Klose. Wann hat der Jahn zuletzt dem Gegner den Schneid abgekauft?

Aber ist das nun ein verdienter Sieg? Ja. Ist das ein bedeutender Sieg? Vielleicht. Ist das ein Sieg, der alles verändert? Nein. Denn bei allem Jubel: Der Jahn hatte weniger quantitativen und qualitativen Ballbesitz, den schlechteren xG-Wert (0,45 zu 1,45), und auch statistisch ein Spiel, das man nicht zwingend gewinnt. Ein bisschen Glück war also dabei.

Ist der Club einfach nur ein Depp? Oder war das hier der Moment, an dem der Jahn endlich den Schalter umlegt? Die Antwort gibt’s nächsten Sonntag in Elversberg. Wieder mal ein Endspiel.

Die Hoffnung war weg. In der Saison – und in diesem Spiel sowieso. Das frühe 0:1 war nicht nur ein Gegentor, sondern ein Gefühl, das man inzwischen zu gut kennt: Wir wirken bemüht, aber nicht überzeugend. Präsenz ohne Wirkung. Dann kam das Eigentor. Ein bisschen Glück, ein bisschen Chaos, aber vor allem: ein Bruch im Spielverlauf. Nürnberg verlor den Faden. Und Ganaus nutzte den Moment. Sein Kopfball zum 2:1 war mehr als nur die Führung – gefühlt fiel ganz vielen Jahnfans sehr viel Last von den Schultern.

Wir leben noch nicht im Klassenerhalt. Aber wir haben unser Überleben gesichert. Zum ersten Mal seit Wochen hat sich diese Mannschaft ein Spiel zurückgeholt. Kein Zufallsdreier, keine Schlusspunkt-Hektik – sondern eine kämpferisch erzwungene Wende. Auch in Elversberg beginnt nichts Großes, aber vielleicht etwas Kleines: ein echtes Lebenszeichen. Und es muss das nächste folgen – denn wer überleben will, muss weiter gewinnen. Trotzdem: Für diesen Moment reicht’s, um mit einem Lächeln in die Woche zu starten. Um zu rechnen. Um zu hoffen. Um sich zumindest für ein paar Tage wieder reinzudenken – in das, was vielleicht doch noch möglich ist.

Absteigen tut man immer zusammen. Die Klasse halten auch. Die Fans haben am Sonntag – gerade als das Momentum endlich auf dem Platz war – wieder extrem geliefert, die Kurve tobte. Und die Mannschaft hat endlich mal zurückgezahlt. Klar ist auch: Das war längst nicht alles. Jetzt gilt es, weiterzumachen, nochmal eine Schippe auf diese Leistung drauf legen, nochmal mehr Stabilität über 90 Minuten. Weil wir müssen. Und weil wir es können. Elversberg wird nicht leichter – aber das darf keine Rolle mehr spielen. Es geht nicht um Erwartungen oder die Qualität der Gegner. Es geht ums Überleben. Und um das Vertrauen, dass diese eine, vielleicht allerletzte Chance tatsächlich genutzt werden kann.

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