Am Sonntagnachmittag reisten wir nach Magdeburg. Angesichts der ernüchternden Leistung auf dem Platz lohnt sich zwischendurch auch mal ein Blick auf das, was diesen Verein und diese Stadt eigentlich ausmacht. Man spielt ja nicht jeden Tag gegen einen Europapokalsieger. Wen das weniger interessiert, kann direkt nach unten zum gewohnten Spielbericht scrollen.
Vorgeplänkel: Zwischen großer Historie, Europacup und Amateurfußball
Wir fahren rein über die B1, relativ früh sieht man schon den Dom von Magdeburg aus der Stadt ragen. Magdeburg wirkt auf den ersten Blick rau und funktional – typisch ostdeutsch. Viel Beton, viel Fläche. Und trotzdem: Zwischen den Platten und Industriearealen gibt’s auch grüne Parks, breite Alleen, offene Räume (die im Laufe des Sonntags auch noch eine Rolle spielen sollen).
Was auffällt: Hier wurde oft neu gebaut. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach dem Zweiten Weltkrieg, in der DDR sowieso. Der industrielle Charakter ist geblieben – Maschinenbau, Stahl, Chemie. Und mit ihm ein gewisser Arbeiterstolz, der sich im Fußball fortgesetzt hat. Der FCM ist spürbar Teil davon – ein Arbeiterverein.
Frühe Fußballvereine wie Viktoria 96 oder Preussen 99 prägten das Bild. Nach dem Krieg entstand aus SG Sudenburg und später SC Aufbau Magdeburg schließlich 1965 der 1. FC Magdeburg. Unter Trainer Heinz Krügel begann eine goldene Ära. Krügel, ein Prinzipienmensch mit taktischem Weitblick und er ist dabei seiner Zeit etwas voraus, baute keine Mannschaft, sondern ein Kollektiv – mit Erfolg: Drei DDR-Meisterschaften, sieben Pokalsiege, und 1974 der größte Triumph der Vereinsgeschichte. In Rotterdam schlug Magdeburg den AC Mailand mit 2:0. Nur rund 300 bis 400 Fans aus Magdeburg waren unter den 5.000 Zuschauern vor Ort. Viele waren aber sogar überraschend ohne Ticket angereist – ein Fan soll sich als Ordner verkleidet haben, um ins Stadion zu gelangen. „Parka und Klemmbrett – das hat gereicht“, heißt es in Fanzine-Erinnerungen.

Doch Krügel beeindruckte nicht nur sportlich. Er verweigerte der Stasi Informationen über seine Spieler oder kommende Gegner (wie zum Beispiel Bayern München), lehnte Spitzelarbeit ab – ein unbequemer Charakter. 1976 wurde er aus politischen Gründen entlassen. Die Fans haben ihn nie vergessen. Heute nennen sie ihr Stadion „Heinz-Krügel-Stadion“, hängen seine Porträts im Block U auf und singen bei Heimspielen lautstark: „Für immer Heinz-Krügel-Stadion“.
Allerdings ist Krügels Biografie nicht frei von Schatten. Ein vereinsinterner Arbeitskreis dokumentierte 2023, dass er als junger Mann freiwillig der Waffen-SS beitrat. Nachgewiesen ist seine Zugehörigkeit zu mehreren Einheiten – darunter die SS-Division „Wiking“. Hinweise auf Verbrechen gibt es keine, doch seine Mitgliedschaft fordert bis heute eine kritische Auseinandersetzung. Der Arbeitskreis empfiehlt eine vollständige, ungeschönte Einordnung. Die Fans – das zeigen Reaktionen – sind bereit, auch diese Ambivalenz zu tragen. Erinnerung muss nicht rein sein, sondern ehrlich.
Nach dem Fall der Mauer brach die Stadt wirtschaftlich ein – und mit ihr der FCM. Die Qualifikation für die 2. Bundesliga wurde 1991 verpasst, es folgten sportliche Abstürze, wirtschaftliche Tiefpunkte und schließlich eine Insolvenz.
In diesen wilden Nachwendejahren etablierten sich auch neue, oft leicht unstrukturierte und erlebnisorientierte Gruppen – nicht nur in Magdeburg, sondern überall in Ostdeutschland, gerade mit dem Gefühl der gewonnenen Freiheit im Rücken. Die Volkspolizei war kaum noch präsent, die alten Strukturen lagen brach – so entstand auf den Rängen eine gewisse Anarchie, bestimmt befeuert auch durch den verbundenen Frust, welcher sich zu dieser Zeit in Ostdeutschland schon anlagert. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen Ost- und West-Hooligans, denn viele Westdeutsche suchten gezielt das Erlebnis gen Osten. Zweckfreundschaften wie zwischen Rostock-Hools und dem HSV verschärften die Lage weiter.
Im Buch „In kleinen Gruppen, ohne Gesänge“ berichtet ein Hamburger folgendermaßen von damals: „Vor kurzem hatte Magdeburg ein Freundschaftsspiel in Schwerin bestritten, bei dem auch einige Hamburger anwesend waren. Es gab während des Spiels recht heftige Ausschreitungen, und es wurde berichtet, dass die Magdeburger ziemlich gute Krawallbrüder in ihren Reihen haben. Das wollten wir selbstverständlich einmal austesten.“
Im Interview mit den Kollegen von Aufruhr (große Empfehlung geht raus!) beschreibt ein Ultra aus Block U das Kurvenbild der frühen 90er so: „Hängengebliebene Zonenfans, die sich optisch nicht viel verändert haben, und dieser Typus Hool – der aber nicht immer da und sichtbar war, aber stylisch mit Markenklamotten.“ Erst Mitte der 90er begannen sich vermehrt Subkulturen wie Punks, Skins oder Linke (wie auch Rechte) wieder in den Kurven einzufinden – nicht zuletzt, weil der FCM wieder populärer wurde. Auch die Auswärtsfahrten nahmen zu. Ab ungefähr der Saison 1996/97 zeigte sich, dass ein konstanter Mob entstand, der auch in der vierten Liga regelmäßig unterwegs war. Die verschiedenen Gruppen, die sich aus diesem Mob herausbildeten, fuhren zwar mitunter unter eigenen Namen und Gruppen, blieben jedoch meist unter dem Schirm von „Block U“ vereint. Gerade in der Außenwirkung zeigt sich Magdeburgs Fanszene bis heute als bemerkenswert geschlossen – trotz bestehender Gruppen wie Blue Generation (= die Hauptgruppe in Block U) wird in Graffiti (die man zahlreich auch im Umland bei der Reise nach Magdeburg beobachten kann), auf Bannern oder Zaunfahnen größtenteils nicht die Einzelgruppe hervorgehoben, sondern immer wieder der Block U als Ganzes ins Zentrum gestellt.
Natürlich konnte niemand von uns ahnen, dass das mal so ein Markenname wird und so omnipräsent ist (…) dass jeder Fünftklässler mit Block U was anfangen kann. (…) Das konnten wir anfangs nicht ahnen und wissen. (…) Es gab auch bei uns immer zwischen den Gruppen Befindlichkeiten und Schwanzvergleiche. (…) Block U war eine Möglichkeit, etwas Übergeordnetes zu schaffen, wo sich alle unterordnen können.
Block U – Anhänger gegenüber Aufruhr
2001 gelang der emotionale Aufstieg in die Regionalliga – nach einem hitzigen Duell mit dem BFC Dynamo, dessen aggressive Auswärtsauftritte die Rivalität befeuerten und der wohl in jener Zeit als größter Rivale des FCM galt. Freundschaften trägt man vor allem nach Braunschweig. Heute ist es vor allem der Hallesche FC, der als Erzrivale gilt – nicht zuletzt wegen tragischer Ereignisse wie dem Tod von Hannes. Hier sei der ausführliche Artikel der ZEIT zu empfehlen, der diesen Vorfall und seine Aufarbeitung einordnet. Ruhe in Frieden, Hannes!
Es folgten fortan Jahre des Auf und Ab, bis unter Mario Kallnik und Jens Härtel ab 2012 ein sportlicher Neuanfang gelang. 2015 stieg Magdeburg in die 3. Liga auf, 2018 folgte der erstmalige Aufstieg in die 2. Bundesliga. In der aktuellen Saison hat sich der 1. FC Magdeburg in der Spitzengruppe der 2. Bundesliga etabliert – vor der Partie stand man auf Platz 5. Mit einem Sieg gegen den Jahn könnte der FCM sogar auf den Relegationsplatz springen. Die Bilanz der direkten Duelle ist nahezu ausgeglichen: Je drei Partien gewannen der FCM und der Jahn, zwei Begegnungen endeten unentschieden. Von den vergangenen vier Spielen konnte der Jahn nur eines für sich entscheiden.
Dementsprechend gemischt die Gefühle auf dem Weg gen Osten.
13:30 Uhr, Anpfiff in Magdeburg
Noch vor dem Anpfiff herrscht im Heinz-Krügel-Stadion ungewohnte Stille. Ein medizinischer Notfall im Magdeburger Fanblock macht das Vorprogramm obsolet. Sichtschutz wird aufgebaut, ein Fan muss reanimiert werden. Der erste, der zur Hilfe eilt, ist der Mannschaftsarzt des SSV Jahn – aufmerksam gemacht durch die eigenen Spieler. Der Fan kann stabilisiert und ins Krankenhaus gebracht werden – dafür gebührt dem Ärzteteam, insbesondere dem Regensburger Doktor, großer Dank.
Als das Spiel dann mit etwas Verzögerung und einem kollektiven Durchschnaufen nach der ersten Entwarnung beginnt, verschiebt sich der Fokus schnell. In der Magdeburger Kurve feiert die „Sektion Börde“ das 15-jährige Bestehen mit einer Choreo, dazu wie gewohnt: brachialer Support, oft als Polen-ähnlich bezeichnet. Es ist diese Art von Stimmung, von der sich Gästeteams nicht selten etwas beeindrucken lassen – und vielleicht war das auch bei der Jahnelf im späteren Verlauf noch der Fall.
Andreas Patz verzichtet auf personelle Änderungen. Die Startelf, die Schalke vor Wochenfrist 2:0 bezwungen hatte, beginnt erneut. Man will Stabilität ausstrahlen – vielleicht sogar so etwas wie ein gewachsenes Vertrauen. Doch was gegen Schalke mit Intensität, tiefer Staffelung und engen Abständen funktionierte, bricht in Magdeburg wieder einmal auseinander.
Der Anfang gehört aber noch dem Jahn. Die Gäste pressen hoch, versuchen, Ballverluste früh zu erzwingen. In der 12. Minute bringt Wurm eine gute Flanke ins Zentrum, Adamyan verpasst – und Magdeburgs Innenverteidiger Mathisen lenkt den Ball fast ins eigene Tor. Kurz darauf ein Fernschuss von Adamyan. Nach einer Viertelstunde denkt man: Vielleicht heute. Vielleicht heute der erste Auswärtssieg seit fast einem Jahr.
Doch Magdeburg übernimmt zusehends das Spiel. Die Gastgeber finden über ihre linke Seite regelmäßig Tiefe. Immer wieder wird der 17-jährige Kieffer im Eins-gegen-Eins gebunden oder überspielt – besonders gegen den klar überlegenen Nollenberger fehlt ihm der Zugriff. Wurm hilft phasenweise, aber die Abstimmungen sind unsauber. Regensburg verliert die Staffelung, das Zentrum bleibt passiv, die Flügel unausgewogen.
Was nicht nur individuell, sondern auch taktisch erklärbar ist: Der Jahn presst in einer Manndeckung aus einem 5-3-2 bzw. 5-2-3 heraus. Magdeburg band Torspieler Reimann sehr aktiv in den Spielaufbau ein – ein Muster, das unsere beiden Stürmer Adamyan und Ganaus wieder einmal überforderte. Immer wieder mussten sie ihre Position verlassen, um Reimann anzulaufen – und öffneten damit Räume hinter sich.
Der FCM spielte konsequent über das Dreieck Reimann – Gnaka – Innenverteidiger. Gnaka war der zentrale Fixpunkt, die Regensburger Mittelfeldspieler rückten oft zu spät heraus oder kamen nicht in den Zweikampf. So konnte Magdeburg immer wieder kontrolliert andribbeln und in Flügelräume kommen, wo sie ihre klaren 1v1-Stärken ausspielten.
Das 1:0 ist eine direkte Folge dieses Musters. Ausgangspunkt ist erneut ein Ball über Reimann, dann ein flaches Durchspielen auf links, Kieffer zu spät, Wurm zu weit innen. Burcu löst sich nach einem Kreuzen mit Nollenberger, bringt die Flanke scharf und flach – Kaars steht am zweiten Pfosten komplett blank. Keine Orientierung, keine Absicherung, kein Eingreifen. Wieder ein Gegentor mit Ansage. Wieder ein einfaches Muster. Und wieder keine Gegenmaßnahme.
Und wie immer: Wirkung sofort spürbar. Denn diese Mannschaft hat kein Konzept für den Moment nach dem Rückstand. Nur drei Punkte holte der Jahn in dieser Saison nach Rückstand – ligaweit der schlechteste Wert. Auch in Magdeburg bricht die Struktur sofort.
Die Bewegungen nach vorne werden fahrig. Der Aufbau zerfasert. Die Anbindung zum Torspieler bricht ab. Die Verbindungen ins Zentrum fehlen. Ganaus hängt in der Luft, Adamyan wirkt isoliert, Hein lässt sich situativ fallen – ohne Wirkung. Pollersbeck versucht es mit kontrollierten, langen Aufbaupässen in den linken oder rechten Halbraum – aber die Bewegungen im Zentrum fehlen. Die Folge: Immer wieder lange Bälle. Immer wieder Ballverluste. Immer wieder dadurch eine zunehmende Unruhe auf Seiten der Regensburger, weil auch das kollektive Gegenpressing an diesem Tag kaum stimmt. Und trotzdem zieht man dieses Prinzip durch.
Auch defensiv wird’s nicht besser. Magdeburg nutzt die Breite clever, verlagert früh und greift immer wieder die Zwischenräume zwischen Halbverteidiger und Schienenspieler an. Auch das ist kein Zufall, sondern ein systematischer Schwachpunkt in der Regensburger Formation.
Denn das 5-3-2 war nur nominell stabil – in der Realität wurden Handwerker und Kieffer auf den Flügeln konstant isoliert. Magdeburg agierte mit doppelt besetzten Außenbahnen, Burcu und Teixeira rückten immer wieder aus den Halbräumen nach, machten Überzahl. Die Reaktion des Jahn: Spieler aus dem Zentrum mussten rausschieben oder Stürmer zurückverteidigen – die Wege waren zu lang, das Timing zu spät, die Abstimmungen zu unsauber.
So entstanden immer wieder Überladungen, einfache Durchbrüche und gezielte Hereingaben – eine dieser Szenen führte zum 1:0, viele andere blieben ungenutzt. Aber sie zeigen: Der Gegner wusste genau, wo er uns knacken kann. .
Mit dem 0:1 geht es in die Pause. Ein Spielstand, der auf dem Papier offen wirkt – auf dem Platz aber längst wie eine Vorentscheidung aussieht.
Denn man weiß: In dieser Saison ein Auswärtstor zu schießen, gleicht einem Wunder. Und auf Wunder wirkt diese Mannschaft weder vorbereitet – noch glaubhaft hoffend.
Zweite Hälfte: Keine Intensität, kein Momentum, keine Punkte
Patz wechselt zur Pause nicht. Magdeburg schon – und bringt El-Zein. Sechs Minuten später ist das Spiel entschieden. Wieder geht der Angriff über links. Nollenberger setzt sich an der Grundlinie durch, spielt zurück in den Rückraum – dort wartet El-Zein ohne jegliche Bedrängung und schiebt überlegt ins rechte Eck ein. 2:0, 51. Minute. Kein Zugriff, kein Nachschieben, keine Hilfe im Strafraum. Die Regensburger Defensive wirkt paralysiert – einmal mehr.
Es ist ein Muster, das sich durch das gesamte Spiel zieht: Immer wieder schieben Hugonet und Müller, die Halbverteidiger der Magdeburger Dreierkette, mit nach vorn. Sie binden damit zusätzliche Gegenspieler, öffnen Räume für Ablagen, überladen unsere Flügel – und machen den Rückraum zur Spielwiese. Der Jahn findet darauf keine Antworten, weder strukturell noch individuell.
Und erneut: keine Reaktion. Keine Wucht. Keine Schärfe in den Zweikämpfen. Wo ist sie geblieben, die Intensität, die gegen Schalke noch der Schlüssel war? Zwar ergeben sich kurz nach dem Gegentor zwei Chancen – ein Schuss von Adamyan wird abgefälscht, Ziegele köpft nach einer Ecke, Burcu rettet auf der Linie – aber es bleibt bei Andeutungen. Nichts davon wirkt zwingend. Nichts davon wirkt wie der Beginn eines Aufbäumens.
Patz reagiert mit einem Dreifachwechsel: Bulic kommt für Wurm, Pröger ersetzt Kieffer, Ernst übernimmt für Handwerker. Die Systematik wird angepasst – aus der Fünferkette wird eine Viererkette, Pröger rückt vor, Hein etwas enger ins Zentrum. Doch es bleibt bei einer bloßen Umstellung der Formation. Die Probleme sind struktureller Natur – und personell längst tiefer verankert.
Die Folge: Positionsrochade ohne Effekt. Die Verbindungen zwischen den Mannschaftsteilen bleiben brüchig, die Räume zu groß. Der eigene Ballbesitz wirkt zäh und unpräzise, lange Bälle landen zuverlässig beim Gegner. Die Lufthoheit gehört klar Magdeburg. Regensburg verliert den Zugriff komplett. Es ist jetzt ein Spiel mit Ansage: Der Jahn reagiert nur noch – auf Ballverluste, auf Lücken, auf Gegner, die in allen Aktionen eine Sekunde schneller sind.
Das 3:0 ist dann fast zwangsläufig. Wieder dringt Nollenberger auf links durch, wieder sieht Ziegele im Laufduell schlecht aus. Die Flanke kommt flach, Hercher schließt aus elf Metern ab – Ballas fälscht unglücklich ab, Pollersbeck ist ohne Chance. Ein Gegentor wie viele in dieser Saison: aus einer bekannten Schwachstelle, mit fehlender Absicherung, ohne entscheidendes Eingreifen. Präsenz gibt es höchstens auf dem Spielberichtsbogen.
Patz bringt noch Galjen und Geipl – ein letztes Signal, das mehr Symbol als Substanz hat. Galjen soll das Schalke-Momentum transportieren, Geipl noch einmal Haltung und Struktur reinbringen. Aber es ist zu spät. Das Spiel ist verloren, bevor überhaupt noch etwas entstehen kann.
In der letzten halben Stunde kontrolliert Magdeburg das Geschehen, spielt mit Ruhe und Übersicht. Der Jahn läuft – aber meist hinterher. Die Ballzirkulation der Gastgeber bleibt ungestört, die Wechsel bringen Stabilität, nicht etwa Unruhe. Der Jahn bleibt ohne klare Aktion in der Offensive, ohne Entlastung, ohne Zugriff.
Am Ende steht die Bilanz: 0:3 in Magdeburg. Fünfzehntes Auswärtsspiel. Kein einziger Sieg. Ein Punkt aus der Fremde – in einer ganzen Saison. Und das meistens auf genau die gleiche Art und Weise verloren, wie auch diesmal: ohne Zugriff, ohne Struktur, ohne echtes Aufbäumen. Und genau das macht mich sauer. Nicht mal mehr die Auswärts-Niederlagen an sich. Sondern wie vorhersehbar, wie gleichförmig, wie ohne Entwicklung sie passieren. Als würde man Woche für Woche die gleiche Geschichte sehen – nur mit anderem Gegner.
Und schlimmer als das Ergebnis ist, wie wenig Widerstand in dieser Mannschaft steckt. Wie schnell sie auseinanderbricht, sobald der Gegner trifft. Wie oft dieselben Räume offen bleiben, dieselben Flanken durchkommen, dieselben Abstimmungsprobleme sichtbar werden – ohne jede Reaktion. Woche für Woche. Wenn man ehrlich ist, dann zeigt das vor allem eines: eine Führungskrise auf dem Platz. Es gibt kaum Spieler, die spürbar und proaktiv Verantwortung übernehmen. Kaum jemanden, der mit einer Aktion ein Spiel kippen kann, der über Präsenz, Wucht oder Klarheit einen Ruck erzeugt. Was fehlt, sind Spieler, die führen – nicht nur mit Worten, sondern vor allem auch mit Leistung.
Und wenn in so einer Phase niemand vorangeht, dann verliert man eben nicht nur Spiele. Dann verliert man Struktur. Und das Gefühl, dass da noch etwas zusammenhält. Angesprochen auf das wiederkehrende Auseinanderfallen nach Rückständen fand auch Robin Ziegele vor dem Mikro keine Antwort. Er habe so etwas selbst noch nie erlebt.
Die Außenspieler sind defensiv überfordert, die Innenverteidiger agieren zu passiv, das Zentrum bekommt kaum Zugriff. Der Rückraum bleibt offen, die Staffelungen stimmen nicht. Offensiv fehlt es an Tiefe, an Zielspielern, an Timing – Umschaltsituationen werden gar nicht oder unsauber ausgespielt. In den Pressingbewegungen zerfällt die Kompaktheit, im Zentrum fehlen Zugriff und Dynamik, beim Umschalten die Klarheit.
Auch Julian Pollersbeck sagt: “Die bessere Mannschaft hat gewonnen”. Der Jahn fällt verdient auseinander. Und der Abstieg ist längst keine Drohung mehr. Er ist – bei aller rechnerischen Möglichkeit – längst Realität.
“Wir fahren weit, wir fahren viel und verlieren jedes Spiel!”
Dann stehe ich wieder in der Mixed Zone nach dem Spiel. Kaum ein Spieler hat wirklich Lust, mit mir zu sprechen – was ich stellenweise auch nachvollziehen kann. Die Enttäuschung ist allen anzusehen. Keine Ausreden, keine Durchhalteparolen, eher Leere. Angesprochen auf den Unterschied zwischen dem Sieg gegen Schalke und der Niederlage in Magdeburg finden selbst die Spieler keine klare Antwort.
Pollersbeck sagt, die Mannschaft habe „nichts dagegenhalten können“ gegen diese „brutale Mannschaft“. Ziegele zollt – wie auch schon in Elversberg – den mitgereisten Fans Respekt. Dass sie die Mannschaft verhöhnen, sei ihr gutes Recht. Man müsse aber positiv bleiben, „weil es nicht anders geht“. So der Verteidiger.
Um ehrlich zu sein: Mir fällt es persönlich schwer, überhaupt noch ansatzweise positive Gedanken aus solchen Spielen zu ziehen. Außer, dass es ein geiles Stadion war. Mit brachialer Stimmung. Und einem starken Auswärtsmob, der trotz aller Missstände wieder alles gegeben hat.
Am Ende bleibt auch heute nur noch dieses dumpfe Gefühl im Bauch. Resignation. Ratlosigkeit. Wie betäubt stehen wir da. Es hilft aber nichts – Zähne zusammenbeißen, Arschbacken zusammenkneifen, viermal noch durchhalten. Viermal noch diese geile Liga und diese geilen Grounds genießen – dann Liga 3. Und dann hoffen. Hoffen, dass wir irgendwie wieder bei null anfangen können. Quo vadis, Jahn? – sondern dass wir irgendwann wieder sagen: Wir geben nicht auf.
Dass wir wieder schreien, nicht klagen. Dass wir wieder in der 89. den Ausgleich machen, in der 94. den Sieg. Dass wir wieder ausrasten. Wieder mit Bier vollgespritzt heimfahren. Wieder dieses Kribbeln haben, wenn du Sonntag früh in den Bus steigst und weißt: Heute kann alles passieren. Dass wir sie wieder feiern – diese endlos geilen Auswärtssiege, bei denen man sich irgendwann fragt, ob das hier gerade wirklich passiert.
Wahrscheinlich der letzte Nachbericht dieser Saison für mich persönlich – zumindest aus dem Medienbereich. Was bleibt, ist ein fettes Merci. Für euren Support. Dafür, dass wir das – vor allem in fremden Stadien – hier so für euch machen dürfen, wie wir’s fühlen. Dass wir für euch nachhaken dürfen. Dass wir diesen ganzen Jahn-Wahnsinn auch in Worte packen dürfen.
Also: Man sieht sich im Block. Und irgendwann – da drehen wir den Scheiß wieder.
Forza Jahn.