Interview mit Martin Speckner: „Und der Schiri ist wieder der Gelackmeierte“

Martin Speckner kommt aus der Nähe von Regensburg und pfiff sich bis in die 3. Liga. Hier erzählt er vom Alltag als Schiedsrichter, altbekannten Problemen und dem Umgang mit Anfeindungen.

Anmerkung der Redaktion: Martin Speckner sowie seine Familie erhielten nach der Partie FC Ingolstadt 04 gegen Arminia Bielefeld Morddrohungen. Dies unterstreicht die Ekelhaftigkeit sowie die Menschenfeindlichkeit, die einige “Fans” in sich tragen. Wer Schiedsrichter in dieser Weise beschimpft und bedroht, der hat diesen Sport nie geliebt. Diese aktuelle Thematik unterstreicht die Wichtigkeit dieser Thematik, deswegen haben wir uns entschlossen, dass wir dieses Interview früher als angedacht veröffentlichen. (Foto: Thomas F. Starke/Getty Images for DFB, Mitarbeit: Flo1889fm)

Wer bist du? Wie lange bist du Schiedsrichter? Wie lief dein Weg in den Profibereich?

Mein Name ist Martin Speckner, gebürtig aus dem Landkreis Cham in der Oberpfalz. Ich bin 28 Jahre alt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München. Ich bin seit 16 Jahren Schiedsrichter und bin seit 6 Jahren als Assistent bzw. Schiedsrichter im DFB-Bereich tätig.
Meine Karriere verlief relativ schnell in Richtung Landesliga, ich durfte mit 15 im Rahmen eines Förderprojekts in der (damals noch vorhandenen) Bezirksoberliga pfeifen und bin mit 17 in die Landesliga aufgestiegen. Dort verbrachte ich meine ersten Lehrjahre, bin drei Jahre später in die Bayernliga bzw. Junioren-Buli aufgestiegen und zwei Jahre später Regionalliga Schiedsrichter und 3.-Liga-Assistent geworden. 2020 hat dann der Aufstieg zum 3.-Liga-Schiedsrichter geklappt.

Gab es, trotz dieser grundsätzlich sehr steil verlaufenden Karriere, Rückschläge, bei denen du dachtest, der Traum vom „Profi“ sei vorbei?

Rückschläge hat man gerade als junger Schiedsrichter häufig, teils fehlt auch einfach das Glück. Mir bleibt zum Beispiel ein Spiel in Mitterteich in Erinnerung, in dem ich in der 2. Landesliga-Saison den Aufstieg vergeigt habe. Meiner Erfahrung nach braucht man irgendwann, auch wenn man „durchmarschiert“, eine Akklimatisierungszeit, bei mir war das eben in der 2. Landesliga-Saison. In einer solchen Phase zweifelt man natürlich, bei mir hat es letzten Endes ja glücklicherweise doch noch funktioniert, aber viele andere müssen leider irgendwann feststellen, dass ab einem gewissen Punkt die Grenze erreicht ist.

Ist dieses Beobachtungssystem (ein Beobachter entscheidet über gute/schlechte Leistung) nicht auch teils von Spielglück abhängig, beispielsweise wenn der Beobachter zwei knappe, aber richtige Entscheidungen sieht und diese dementsprechend positiv bewertet, während ihm die falschen Entscheidungen entgehen?

Klar, gerade in den unterklassigen Ligen ohne Kameras ist auch Glück dabei. Man muss teils auch zur richtigen Zeit, im richtigen Spiel am richtigen Ort stehen. Dennoch setzt sich über viele Jahre hinweg Qualität durch. Wenn man zweimal richtig entscheidet, gibt es Gründe, warum man diese Entscheidungen getroffen hat, und diese Qualität wird sich durchsetzen. Teils ist die Frage aber, wie viel Zeit man als Schiedsrichter hat, da gerade unterklassig auch die Subjektivität des Beobachters eine Rolle spielt.

Das Themengebiet 3. Liga: Wenn man als Schiedsrichter in die 3. Liga aufsteigt, wie stark verändert sich das Spielniveau, und die Geschwindigkeit zwischen „Amateuren“ oder Profis?

Von der Geschwindigkeit ist es definitiv ein größerer Schritt als in den Amateurligen, weil es voll ausgereifte Profistrukturen sind. Die größte Umstellung aber sind die hohen Zuschauerzahlen. Dadurch entstehen andere Anforderungen, die dann auch das Spielmanagement betreffen, was im Amateurfußball dahingehend „einfacher“ ist.

In der 3. Liga gibt es natürlich auch immer mehr Kameras. Blickt man beispielsweise mal auf die rote Karte von Rizzuto im Spiel 1. FC Saarbrücken – FC Ingolstadt, dann ist das ja eine Szene, bei der in einer Liga ohne diese Anzahl von Kameras kaum einer eine klare Fehlentscheidung konstruieren würde. In der 3. Liga, dank Zeitlupen und Kameraperspektiven, wird aus dieser Szene aber plötzlich eine klare Fehlentscheidung. Ist es dann auch, gerade als neuer 3.-Liga-Schiedsrichter teils überfordernd, wenn man mit Entscheidungen konfrontiert wird, die vorher kaum angezweifelt wurden?

Das ist auf jeden Fall ein Aspekt, der sich ändert. Im Profifußball ist man nicht mehr nur von der Wahrnehmung im Stadion abhängig, sondern eben auch von der „TV-Wahrheit.“ Damit geht einher, dass Entscheidungen auch anhand dieser bewertet werden. Das heißt, Schiedsrichter müssen ein gutes Spielmanagement mitbringen und Situationen so gut es geht richtig bewerten.
Das ist ja auch ein Punkt, über den man zum Beispiel bei Handspielen in der Bundesliga redet. Angenommen, man nimmt 25 Kameras weg und filmt Spiele mit einer Kamera auf Höhe der Mittellinie, nehmen die Beschwerden drastisch ab. Ohne die „TV-Wahrheit“ würden Spiele ganz anders ablaufen.

Die Kritik an den Schiedsrichtern ist gerade in der 3. Liga ja auch sehr groß. Fehlt da teils auch das Verständnis, dass auch für Schiedsrichter die 3. Liga eine „Übergangsliga“ ist und sich diese erstmal zurechtfinden müssen und sich dort, genauso wie bei den Vereinen, auch die Spreu vom Weizen trennt?

Ja, die 3. Liga ist auch eine Art „Ausbildungsliga“, in der sich zeigt, wer das Zeug hat, 2. Bundesliga zu pfeifen.

Wie gehst du mit Hasskommentaren und negativer Presse um?

Damit gehen Schiedsrichter ganz unterschiedlich um. Manche lesen die Kritik, andere ignorieren sie. Ich persönlich versuche, mir das so wenig wie möglich zu Herzen zu nehmen, denn ich weiß selber, ob ich gut oder schlecht gepfiffen habe oder ob meine Entscheidungen richtig waren. Dazu fokussiert sich die Kritik, teils auch unter der Gürtellinie, bereits wenige Tage später wieder auf einen anderen Kollegen. Kritik an Schiedsrichtern scheint auch Aufrufe zu generieren und wird folglich fast schon inflationär genutzt. Diese Entwicklung finde ich, gerade in Bezug auf die jungen Schiedsrichter in der 3. Liga, sehr bedenklich.

Weg von den negativen Erlebnissen – was waren für dich die schönsten Erlebnisse in der 3. Liga?

Da gibt es einige. Beispielsweise Dresden – Essen vor ausverkauftem Haus mit über 30.000 Zuschauern oder Essen – Halle. Auch mein erstes Spiel, Bayern II – Dresden als Flutlichtspiel. Grundsätzlich gibt es aber viele schöne Momente, insbesondere aber die stimmungsvollen Abendspiele.
Außerhalb der 3. Liga gab es aber natürlich auch schöne Spiele, wie beispielsweise das U20-Länderspiel zwischen Deutschland und England, das ein bisschen außerhalb des „Ligadrucks“ verläuft. Dort spielten unter anderem Krätzig, Pavlovic oder Edozie mit. Diese Spieler kicken zu sehen, von denen man erahnen kann, dass sie eine große Karriere haben werden, sind tolle Erlebnisse.

Oft wird ja auch der berühmte Ermessensspielraum herangezogen. Was bedeutet dieser Begriff für dich?

Ermessensspielraum hat man zwischen persönlichen Strafen, etwa bei der Frage, wann muss ich Rot ziehen, wann Gelb? Bei faktischen Dingen wie Einwurf, Abstoß oder Ecke kommt es eher auf Spielcleverness und -taktik an, um Fehlentscheidungen zu minimieren. In diesem Zusammenhang geht es um das gute, aber überstrapazierte Wort Fingerspitzengefühl.

Was mir auffällt: Den Spielern und Trainern ist Berechenbarkeit wichtig, also dass bei beiden Teams die gleichen Maßstäbe angelegt werden. Aber wenn man vier klare Strafstöße gegen ein Team verhängen muss, dann musst man da auch durch. Da kann ich nicht aus taktischen Gründen sagen, den dritten gebe ich nicht mehr, auch wenn es 2:2 steht. Wir müssen das Regelwerk durchsetzen. Das Wort Ermessensspielraum wird gern genutzt, um Fehler auf den Schiedsrichter abzuwälzen, obwohl die Entscheidungen nach dem Spiel ohne Emotionen mit einem neutralen Blick in Ordnung sind.

Als Schiedsrichter kann man es nie allen recht machen …

Der altbewährte Leitsatz, der gilt von der Bundesliga bis in die B-Klasse.

Oft werden in der Kreisliga auch Entscheidungen kritisiert, die objektiv kaum anzuzweifeln sind, etwa wenn der Torhüter einen Meter vor der Linie steht.

In der Bundesliga gibt es dann das TV-Bild, das irgendjemand ausgräbt – und regeltechnisch ist es eindeutig. Wir sind nicht dazu da, die Regeln zu machen, sondern sie durchzusetzen. Dieser Unterschied hat sich zuletzt auch wieder in der Szene beim Spiel Bremen – Darmstadt gezeigt (Kurz vor Spielende wurde hier ein Tor des Darmstädters Tim Skarke abgepfiffen, weil er zuvor aus kurzer Entfernung von Bremens Torwart Michael Zetterberg angeschossen wurde. Weil der Arm am Bauch angelegt war, wurde die Szene kontrovers debattiert, Anm. d. Red). Da ist Schiedsrichter Florian Badstübner die ärmste Sau. Das will keiner im Stadion und keiner in Fußball-Deutschland. Aber in der Regel steht, dass ein Handspiel strafbar ist, wenn ein Spieler den Ball unmittelbar vor der Torerzielung mit der Hand oder dem Arm berührt hat – ob absichtlich oder nicht. Auch wenn es in der 97. Minute zum 2:1 passiert.

Da können wir uns jetzt tagelang über das Regelwerk aufregen, aber du wirst solche Situationen nie vermeiden können. Es wird immer Regeln geben, die grundsätzlich Sinn ergeben, wo es aber auch Graubereiche gibt. In diesem Spannungsfeld bewegst du dich als Schiedsrichter. Das war schon immer so und wird immer so sein. Der Unterschied heute besteht nur in dieser fast hundertprozentigen Transparenz mit den TV-Bildern.

Und wenn du genau die gleiche Szene wie in Bremen in der 3. Liga nicht pfeifst, weil es  keinen Videobeweis gibt, dann würde das ja die andere Mannschaft wieder kritisieren.

Hinterher schaut sich jemand die TV-Bilder an und sagt, “hier war ja schon noch Hand vorm Tor”. Dann könnte es – als hypothetische Schlagzeile – “Irreguläres Tor führt zu 2:1-Sieg von Darmstadt in Bremen” heißen. Und der Schiri ist wieder der Gelackmeierte. Als Fußballfan kann ich schwer verstehen, dass so ein Tor nicht zählt, aber als Schiedsrichter ist es laut Regelwerk irregulär.

Ein großes Problem in der 3. Liga sind die Regeln, an die sich alle Fans klammern, aber die dann doch gänzlich anders bewertet werden. Das ist den Fans schwer zu verkaufen, wenn eine Regel in zwei verschiedenen Spielen fünfmal anders bewertest.

Da kommen wir wieder zurück auf den Bereich Fingerspitzengefühl und einheitliche Linie. Das Ziel von uns Schiris ist natürlich, dass eine Situation gleich geahndet wird, wenn eine Situation gleich abläuft. Es ist ja nicht so, dass wir jeden Samstag rausfahren und mit Absicht falsche Elfmeter pfeifen. Aber es liegt auch in der Natur der Dinge, dass Fehler vorkommen, weil der Schiedsrichter etwa eine schlechte Perspektive hat, wenn sich das Spiel verlagert. In einem Spiel können ja diverse Dinge passieren. Ich kann natürlich verstehen, dass der Fan, der einfach nur den Erfolg seiner Mannschaft bejubeln möchte, davon nicht abgeholt wird. Trotzdem ist es unser Ziel und unser Auftrag, solche Fehler zu minimieren. Aber wenn Menschen über Menschen urteilen, liegt es in der Natur der Sache, dass Fehlentscheidungen passieren.

Sollte man den Faktor Mensch einfach gänzlich entfernen und durch KI ersetzen? Oder ist das utopisch?

Da liegt die Antwort natürlich in der Zukunft. Grundsätzlich müsste man der KI erst einmal vorgeben, was richtig und was falsch ist. Selbst beim klarsten Foul muss erst einmal ein Mensch sagen, Situation X ist Foul und Situation Y ist kein Foul. Nach der Art des Machine Learning kann das helfen, aber bei der kleinsten Regeländerung kann man wieder von vorne anfangen. Man bräuchte ein Szenenportfolio, und womit fängt man da an? Mit Champions-League-Szenen, mit welchen aus der Regionalliga? Welche Kameras nimmst du? Kann man mit den Kameras aus Liga 3 die Technik der Bundesliga einsetzen? Was sind Bewegungsabläufe, ändern sich diese im Fußball? Was ist ein Foul und wann ist ein Foul ein Foul? Diese menschliche Komponente wirst du aus dem Profifußball und dem Schiedsrichterwesen nie rausbringen, weil es neben der faktischen Beurteilung von Foulspielen zum Beispiel darauf ankommt, wann ich ein Spiel beruhige. Wie und wann greife ich ein und wann greife ich nicht ein? Ist die gelbe Karte in einem Spiel richtiger als in einem anderen oder bewerte ich jede Situation gleich? Ich glaube, hinter der Diskussion über KI steht der Wunsch nach Schwarz-Weiß-Entscheidungen. Bei Foul- oder Handspielen hast du Ermessensspielraum – der aber in jedem Spiel nötig ist, weil nicht jedes Spiel gleich abläuft. Ein Beispiel: Der Jahn spielt zuhause gegen einen spielstarken Gegner und will zeigen, wer Herr im Haus ist. Da könnte es mit einer KI passieren, dass du nach den ersten 15 Minuten nur noch zu neunt spielst. Als menschlicher Schiedsrichter lässt du andere Faktoren in deine Entscheidungen mit einfließen. Eine KI mag in Zukunft ein Spiel pfeifen können, aber kein Spiel leiten.

Du bist ja noch relativ jung. Hast du noch ein konkretes Ziel, etwa 2. Liga oder Bundesliga?

Das Ziel wäre schon noch, als Schiedsrichter kurz oder mittelfristig in die 2. Liga aufzusteigen. Oder, falls es als Schiedsrichter nicht klappt, über die Spezialisierung als Assistent den Weg in die Bundesliga zu finden. Der Regensburger Eduard Beitinger ist da ja ein gutes Beispiel. Der ist auch als Drittliga-Schiri zum Spezialassistenten geworden und ist momentan einer der besten, wenn nicht der beste Assistent Deutschlands. Ob das Ganze funktioniert, hängt zuallererst von meiner Leistung ab.

Wenn du eine Ansetzung bekommst, wie läuft deine Spielvorbereitung ab (von der Anreise, Vorbereitung bis hin zur Nachbereitung, Coaching etc.)? Müsst ihr noch den klassischen DFBnet-Spielbericht ausfüllen oder ist das in der 3. Liga anders?

Den Spielbericht müssen wir noch ganz klassisch ausfüllen, wie in der A-Klasse auch. Was wegfällt, ist die Passkontrolle. Aber ansonsten: ganz normal, Anfangszeit, Nachspielzeit, gelbe Karten, rote Karten, Tore, Auswechslungen, alles genau so eintragen, wie im Amateurbereich

Zur Vorbereitung: Wir bekommen in der Regel mittwochs, so zehn bis elf Tage vorm Spiel, die Ansetzung fürs übernächste Wochenende. Dann sagst du deiner Kontaktperson beim DFB Bescheid, ob man eine Übernachtung braucht oder wie man anreisen möchte. Etwa fünf, sechs Tage vorher ist die Trikotfreigabe der Vereine. Dann kann man im DFB SpielPLUS schauen, wie die Teams spielen und die Trikots freigeben. Dann reist man einen Tag vorher an, übernachtet im Hotel, trifft sich mit den Assistenten. Eventuell geht man noch einen Happen essen.

Am Spieltag müssen wir 90 Minuten vor Anpfiff im Stadion sein. Ich bin immer zwei Stunden vor Spielbeginn da, weil noch Platzbegehung und das Gespräch mit Coach bzw. Beobachter anstehen. Dann hat man keinen Stress, denn irgendetwas ist immer. Zum Beispiel kommen ein Sicherheitsbeauftragter, Polizei oder Stadionsprecher noch vorbei für eine Begrüßung oder informelle Gespräche.

Nach dem Spiel geht es relativ zügig nach Hause. Wir bekommen Videomaterial, die Magenta-Sport-Aufzeichnung, oder in der ersten und zweiten Liga das Material von Sportcast, was online in einem Portal veröffentlicht wird. Das schaut man sich an, besonders strittige Szenen. Dann wird mit dem Beobachter bzw. Coach Anfang/Mitte der Woche das Spiel aufgearbeitet, meist per Teams, Zoom oder Telefon. Das dauert in etwa eine halbe bis eine Stunde. Damit sind die groben Sachen abgearbeitet und man kann punktuelle Feinheiten analysieren wie Stellungsspiel. Dann ist auch schon wieder Mitte der Woche und man plant schon wieder fürs übernächste Spiel.

Wie fit muss man als Schiedsrichter oder Assistent sein? Anfang des Monats war bei der Sitzung unserer Gruppe jemand vom DFB zu Gast, der sagte, dass Assistenten in der 2. Liga zu Hause im Training etwa 130 Kilometer pro Monat joggen. Ist das wirklich so viel oder ist es mit menschlichen Mitteln machbar?

Als Schiedsrichter im Profibereich musst du dich auf dem Platz mit Spielern messen, die das hauptberuflich machen und körperlich zu hundert Prozent austrainiert sind. Ob es 130 Kilometer im Monat sein müssen, sei mal dahingestellt, aber Sprinttraining zwei bis drei Mal pro Woche gehört dazu. Als Assistent musst du oft aus dem Stand per Sidestep schnell Geschwindigkeit aufbauen. Ich selbst trainiere circa fünf bis sechs Einheiten pro Woche plus Spiel. Da ist natürlich auch Regeneration oder Radfahren dabei, aber grundsätzlich besteht eine Trainingswoche aus Low-Intensity-Einheiten, High-Intensity-Einheiten, Sprint-/Ausdauer-Training und Krafteinheiten – also dem, was die Profisportler auch machen, wenn auch nicht exakt 100 Prozent unter den gleichen Bedingungen. Aber wir sind mittlerweile aufgrund der Anforderungen, die das Spiel in den ersten drei Klassen an uns stellt, nicht mehr weit von diesem Level entfernt.

Wie viel Stunden gehen pro Woche für fünf bis sechs Einheiten drauf?

Pro Trainingseinheit etwa zwei Stunden. Heute war ich von 16.30 bis 18.30 Uhr trainieren und davor von 8 bis 16 Uhr in der Arbeit. Zehn bis zwölf Stunden pro Woche fürs Training aufzuwenden ist nicht untertrieben für Leute, die das in diesem Bereich seriös betreiben wollen.

Man muss auch vergleichen: Die Karriere eines Spielers ist spätestens ab Mitte 30 am Ausklingen. Wir Schiedsrichter können theoretisch bis um die 50 pfeifen, solange es der Körper hergibt. Deshalb musst du mit Ende 20 die Basis legen und auch mehr Prävention betreiben, damit du deinen Körper langfristig auf diesem Level halten kannst. Es geht nicht immer darum, super sprintfähig zu sein, sondern Verletzungen vorzubeugen und herauszufinden, wo es am Körper Probleme gibt und mit Physiotherapeuten daran zu arbeiten. Jeder von uns hat ein Netzwerk an Physios oder Medizinern, zu denen man gehen kann, wenn es einmal zwickt. Zum Beispiel ist Dr. Harlass Neuking, der Mannschaftsarzt von Jahn Regensburg, meine Anlaufstelle, wenn ich sportlich ein Wehwehchen habe. Es ist einfach super gut, jemanden zu haben, zu dem man gehen kann und weiß, du wirst fachmännisch betreut. Neben dem Training geht es darum, den Körper fit zu halten, und da spielt ärztliche Betreuung und Physiotherapie eine wichtige Rolle.

Als Profi ist Fußball dein Beruf, aber als Schiedsrichter muss man das mit Studium oder Beruf vereinbaren. Dann nebenher noch zehn Stunden pro Wochen zu trainieren ist noch einmal der Unterschied zwischen Profifußball und Schiedsrichter im Profifußball.

Schiedsrichter in der dritten Liga, vielleicht auch in der zweiten Liga, kann man noch auf einer semi-professionellen Ebene betreiben. Bei allem, was darüber hinaus geht, nicht mehr, wobei alle noch nebenher einen Job haben. Es gibt fast keinen, der das zu einhundert Prozent betreibt.

Wir haben zwar eine gewisse Absicherung mit einem Grundgehalt, aber gerade in der dritten Liga ist das nicht so hoch, dass ich zwölf Monate davon meine Miete bezahlen kann.

Andererseits findet ja auch eine gewisse Akademisierung statt, es finden sich deutlich mehr Schiedsrichter mit Doktortitel als bei den Spielern. Das zeigt, dass wir unsere Ausbildung lang hinausziehen. Bei einer Promotion hat man einfach noch mehr Freiheiten als bei einer Firma, wo man eventuell um 16.30 Uhr noch einen Kundentermin hat. Da ist die Trainingseinheit am Abend vielleicht nicht mehr drin. Anders als bei mir, der sich das als Doktorand gut selbst einteilen kann.

Auch in der Junioren-Bundesliga ist das System für Schiedsrichter ja bereits knallhart: Entweder du kannst unter der Woche pfeifen und musst dir dafür frei nehmen, oder sie nehmen den nächsten, nach dem Motto: Wir haben ja genug, die stattdessen pfeifen können. Da wird schon viel verlangt.

Das ist beim Profifußball genauso. Wenn du in diesem Geschäft dabei sein willst, musst du Abstriche machen. Die Samstage, in denen ich im Studium feiern gegangen bin, kann ich ab der Bayernliga – zumindest während der Saison – an einer Hand abzählen. Profifußballer kennen das eigentlich nicht anders. Profifußball ist kein Zuckerschlecken und viele investieren Zeit und Energie, wobei es ganz oft nicht reicht, egal ob auf Schiedsrichter- oder auf Spielerseite. Wenn wir Samstags auf den Rasen schauen, sehen wir ja nur 25 Akteure, die es tatsächlich geschafft haben. Die vielen anderen, die es auch versucht haben und nicht so weit gekommen sind, werden in diesem Geschäft oft ausgeblendet.

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