Der Spielfilm
Die Duelle gegen die anderen Aufsteiger werden entscheidend für den Klassenerhalt sein. Mit dieser Erkenntnis gingen beide Mannschaften in das erste Aufeinandertreffen der Aufsteiger am zweiten Spieltag der zweiten Liga. Zum ersten Heimspiel unter Flutlicht präsentierte die Hans-Jakob-Tribüne eine beeindruckende Choreografie als Intro, bestehend aus kleinen weißen und roten Fahnen, die unter anderem das Logo des SSV darstellten. Abgerundet wurde die Inszenierung durch den Titel des Fangesangs: „Jahn Regensburg ist da!“. Diese Choreografie, zusammen mit dem Empfang der Mannschaft und der Motivationsrede eines Vorsängers, hinterließ einen starken Eindruck und sollte der Mannschaft den letzten Schub an Motivation geben.
Die daraus sehr motivierte Jahnelf nutzte den Schwung dieser Atmosphäre und kam bereits in der ersten Minute gefährlich vor das Ulmer Tor. Ein Zusammenspiel zwischen Kühlwetter und Pröger mündete in einem Kopfball von Kühlwetter, der jedoch knapp am Tor vorbeiging. Ulm bemühte sich in den Anfangsminuten, ohne lange Bälle in die gegnerische Box zu gelangen. Der Jahn begegnete diesem Versuch mit einem sehr hohen Gegenpressing, das die Offensivbemühungen der Ulmer effektiv unterband. In der Folge versuchte die Jahnelf selbst zum Torerfolg zu kommen und kam in der 16. Minute durch einen Freistoß von Geipl gefährlich vor das Tor, der jedoch geklärt wurde.
Ansatzweise gefährliche Aktionen der Ulmer wurden in dieser Phase von der Jahn-Defensive souverän abgewehrt. In dieser Phase gegenseitiger Neutralisation stach der Jahn in der 34. Minute nach einem Freistoß von Geipl zu: Ein abgewehrter Kopfball von Kother landete nach einer unzureichenden Klärung durch Reichert erneut beim Relegationshelden, der nicht zögerte und per Direktabnahme zur Führung traf. Nach dem Spiel sagte der Torschütze: „Ich habe einfach versucht, den Ball unter die Latte zu setzen, und es hat geklappt.“
Als Reaktion auf den Gegentreffer intensivierten die Ulmer Spatzen ihre Offensivbemühungen vor der Pause. Wirklich gefährliche Situationen wurden jedoch durch das rechtzeitige Eingreifen von Schönfelder, Breunig und Gebhardt in den Minuten 36, 41 und 45+2 unterbunden. Cheftrainer Joe Enochs zog zur ersten Halbzeit ein gemischtes Fazit: „Wir haben Ulm in der ersten Halbzeit weit weg von unserem Tor gehalten und konnten selbst Nadelstiche setzen. Einziger Kritikpunkt ist, dass wir unsere offensiv herausgespielten Situationen nicht gut zu Ende gespielt und den Ball zu selten in die Box gebracht haben. […] Auf der Gegenseite haben wir uns dann nach einem Standard mit dem Führungstreffer belohnt, was zu dem Zeitpunkt definitiv verdient war.“
Sein Gegenüber, Thomas Wörle, reagierte zur Pause mit einem Doppelwechsel auf den Rückstand: Für Maier und Gaal kamen Hyryläinen und Kolbe ins Spiel. Voller Motivation starteten die Gäste in eine starke Druckphase, die etwa 15 Minuten anhielt. Aus dieser verschlafenen Anfangsphase der zweiten Halbzeit resultierten einige gute Gelegenheiten für Ulm. Ein strammer Schuss von Higl in der 50. Minute zwang Gebhardt zu einer Parade, woraufhin er versuchte, seine Vorderleute wachzurütteln. Doch Ulm blieb durch einige Ecken weiterhin gefährlich, auch wenn diese nur mäßig geklärt werden konnten. Der Jahn überstand diese Druckphase der Ulmer letztlich ohne Gegentor.
Ab Mitte des zweiten Durchgangs setzte die Jahnelf auf Entlastungsangriffe. Einige gute Ansätze des Konterspiels wurden umgesetzt, doch Enochs resümierte nach dem Spiel: „Am Ende hätten wir unsere Kontersituationen besser ausspielen können, das haben wir verpasst. Deshalb blieb es bis zum Ende spannend, aber wir haben verdient gewonnen.“ Auf die offensiven Wechsel der Ulmer mit Telalovic und Keller reagierte der Jahn mit einer defensiveren Ausrichtung durch Ziegele und Bulic. Dies ging jedoch auf Kosten der offensiven Kreativität, die nur einmal wirklich gefährlich wurde: Ganaus wurde in der 85. Minute mit einem guten Pass in die Spitze geschickt, verlor aber das Duell gegen Strompf. Danach gab es keine nennenswerten Chancen mehr, da die Rothosen clever verteidigten und so die ersten drei Punkte in der zweiten Liga sicherten.
Mitarbeit: Kitte
Die Spieler-Stimmen zum Spiel
Kai Pröger
F: Wie fühlt sich der erste Zweitligasieg mit deiner Mannschaft an?
A: Es fühlt sich großartig an. Freitagabendspiele sind immer etwas Besonderes, und die Fans haben eine fantastische Stimmung gemacht. Ich denke, dass es zuhause immer einen kleinen Vorteil gibt. Wir haben uns reingehauen und am Ende verdient gewonnen.
F: Du hast im Spiel viel nach hinten gearbeitet, dein Akku schien unerschöpflich zu sein, oder?
A: Ja, es gibt solche Tage. Wenn man viel gegen den Ball arbeitet, bleibt nach vorne vielleicht nicht mehr so viel Kraft, aber ich denke, wir haben insgesamt vieles richtig gemacht.
F: Ist dieses Spiel ein Vorgeschmack auf die hart umkämpfte zweite Liga?
A: Definitiv. Mannschaften wie wir, die nicht über das ganz große Budget verfügen, müssen viel über den Kampf kommen. Wenn wir in Führung liegen, müssen wir jedoch noch cleverer und energischer agieren. Wir hätten uns nicht so sehr von der Hektik der Ulmer anstecken lassen dürfen. Wenn wir mit einer Führung aus der Pause kommen, dürfen wir uns auf so etwas nicht einlassen.
Andi Geipl
F: Wie fühlt sich der erste Sieg an?
A: Es fühlt sich richtig gut an. Wir hatten in Hannover mehr erwartet, und heute wollten wir unbedingt im Heimspiel punkten. Abgesehen von den ersten 15 bis 20 Minuten in der zweiten Halbzeit haben wir eine solide Leistung gezeigt und sind froh, die 3 Punkte in Regensburg behalten zu haben.
F: Habt ihr euch von der Wildheit der Ulmer zu sehr anstecken lassen?
A: In gewisser Weise ja. In unserem eigenen Drittel waren wir nach Balleroberungen nicht konsequent genug. Da müssen wir kompromissloser agieren und besser nachrücken.
F: Wie kann man mehr Ruhe ins Spiel bringen?
A: Indem wir den Ball besser verlagern, Passstafetten einbauen und gezielt auf die zweiten Bälle gehen.
Dominik Kother
F: Seid ihr glücklich über diesen ersten Sieg?
A: Auf jeden Fall, ich glaube, es ist wichtig, zu Hause so viele Punkte wie möglich zu holen, das ist diese Saison auch ein großes Ziel.
F: Wie schätzt du Ulm ein?
A: Ulm ist natürlich ein anderer Gegner als Hannover, wir müssen jedes Spiel neu angehen. Ich denke, wir sind mit heute in der Liga angekommen.
Mitarbeit: Hübner
Die Taktikanalyse
Der Inhalt in wenigen Punkten
- Taktische Unterschiede: Im Vorfeld der Partie wurde auf die unterschiedlichen Ansätze der beiden Trainer hingewiesen. Während Regensburg eine offensive Ausrichtung verfolgte, hatte Ulm Probleme, ihr mannorientiertes Pressing effektiv umzusetzen. Die beiden Teams wählten ihre üblichen Systeme, präsentierten jedoch abweichende taktische Designs.
- Aufstellung und Systemwechsel: Regensburg trat im 4-3-3-System an, während Ulm ein 3-4-3 einsetzte, das sich defensiv in ein 3-5-2 umformierte. Bei Regensburg agierten die Halbraumspieler offensiv, was zu einer höheren Präsenz in den gefährlichen Zonen führte. Ulm hingegen hatte Schwierigkeiten, in der Offensive gefährliche Akzente zu setzen.
- Dynamik in den Halbräumen: Regensburg dominierte den Kampf um die Halbräume, indem sie gezielt Spieler in diesen Zonen positionierten. Dies führte zu einer Überzahl in den offensiven Räumen und ermöglichte dynamische Kombinationen. Ulm konnte die strukturellen Schwächen nicht ausnutzen und geriet so immer wieder unter Druck.
- Effektives Pressing von Regensburg: Der Jahn zeigte ein gutes Pressing, das Ulm an der Ballzirkulation hinderte. Die Ulmer Außenverteidiger wurden frühzeitig unter Druck gesetzt, was ihre Optionen einschränkte. Regensburg konnte die Räume gut schließen und dadurch Ulms offensive Bemühungen entschärfen.
- Starkes Aufbauspiel von Regensburg: Regensburg überzeugte mit einem dynamischen Aufbauspiel, das die Halbräume effektiv nutzte. Durch tiefere Positionierungen im Mittelfeld und gezielte Flügelüberladungen setzten sie Ulms Defensive massiv unter Druck und schufen zahlreiche gefährliche Situationen. Trotz solider Leistungen blieben bei beiden Teams jedoch Schwächen erkennbar, insbesondere im Offensivspiel.
Der Inhalt detailliert
Regensburg und Ulm auf dem Papier wie gewohnt
Nach der enttäuschenden Niederlage in Hannover konnte man Veränderungen in der Startelf erwarten. Dennoch gab es in der Aufstellung nur zwei Änderungen: Unter anderem tauschte der genesene Christian Kühlwetter im Sturmzentrum mit Noah Ganaus.
Enochs ließ seine Mannschaft mit dem Ball und gegen den Ball in einem 4-3-3-System auflaufen, das grundsätzlich an die in den letzten Wochen genutzten Systeme erinnerte. Kother und Pröger bildeten erneut die Flügelzange, Kühlwetter besetzte das Sturmzentrum, Ernst und Viet agierten wieder als halbräumige Zehner, und Geipl spielte als tiefer Sechser vor der Viererkette. Geipl positionierte sich sowohl mit als auch gegen den Ball oft nur leicht vor der Viererkette, die sich im Angriffsaufbau häufig in eine Dreierkette verwandelte, indem der ballferne Außenverteidiger einrückte. Personell tauschte Oscar Schönfelder mit Bryan Hein, wobei Schönfelder seine Rolle mit dem Ball invers interpretierte, das heißt, er positionierte sich im Ballbesitz meist zentral.
Thomas Wörle hingegen brachte mit Maurice Krattenmacher einen Halbraumstürmer, der im Trio mit Higl und Chessa agieren sollte. Die Leihgabe des FC Bayern fungierte dabei als Übergangsspieler und sollte den Ball mit schnellen Dribblings ins Angriffsdrittel befördern. Dafür ließ er sich früh fallen und holte sich den Ball im Mittelfeld ab – hierbei gab es aber teils Probleme. Systematisch sah man beim SSV Ulm fließende Übergänge, die Basis bestand jedoch aus einem 3-4-3, das sich gegen den Ball meist in ein 3-5-2 verwandelte, wobei Krattenmacher neben dem ballnahen Flügelverteidiger hinter die Stürmer rückte und mit dem Ball in ein 3-3-3-1.
Linksüberladung als Schlüssel für Ulm
Schon in der letzten Saison setzte Thomas Wörle auf eine Dreierkette in der ersten Aufbaulinie, auch gegen den Jahn agierten die Ulmer in einem 3-4-Aufbau. Die beiden Halbraumverteidiger, also Strompf und Gaal, schoben hierbei extrem breit, während sich der mittlere Verteidiger, Reichert, zurückfallen ließ, um anspielbar zu bleiben. Bei den Flügelverteidigern gab es hingegen leichte Variationen: Während Allgeier ballfern einrückte und so Schönfelder binden konnte, machte Rösch das Spiel ballnah extrem breit und klebte teilweise an der Auslinie. Dies hing auch mit der Positionierung der Halbraumstürmer zusammen: Während Krattenmacher auf der Seite von Rösch sich, wie bereits beschrieben, eher zentral fallen ließ, suchte Chessa die Breite, woraufhin der Halbraum durch den Flügelverteidiger besetzt werden musste. Diese Struktur bot flexible Ansätze in den ballfernen Räumen, doch wenn sich ein Flügelverteidiger ballnah aus der Kette löste und Druck neben den zentralen Mittelfeldspielern erzeugte, schoben Rösch und Allgeier beide breit.
Die Vielzahl an zentralen Spielern, die sich im Halbraum positionierten, sorgte für hohen Druck und extreme Präsenz in diesen Zonen. Durch das Fallenlassen von Krattenmacher konnte man die linke Seite bereits in tiefen Räumen überladen. Dies geschah durch das Aufrücken von Strompf und das horizontale Verschieben durch Brandt, dazu gesellte sich, wie gesagt, Krattenmacher. Hierdurch entstand ein kleinräumiges Viereck und teilweise 4-gegen-3-Überzahlsituationen gegen Pröger, Ernst und Saller. Das Ziel von Ulm bestand darin, den diagonalen Pass vom Flügelverteidiger zum Halbraumstürmer (Krattenmacher) zu finden, der sich dann schnell aufdrehen und das Tempo erhöhen konnte.
Die horizontale Ballzirkulation in den hinteren Linien konnte dann von allen Seiten aus nach vorne getragen werden, auch weil es viele Bewegungen zum Ball gab: Durch die ballseitig hängende Doppelsechs konnten die Halbraumverteidiger Gaal und Strompf diagonal zentrale Optionen wie Maier, Brandt und situativ Krattenmacher suchen.
Schwierigkeiten in den Aufdrehbewegungen
Ein Problem in diesen Szenen war jedoch oft die vertikale Anordnung. Prinzipiell gelang es, diese kleinräumigen Überladungen zu bespielen, jedoch gestaltete es sich schwierig, daraus wieder zu entkommen. Drehbewegungen waren schwer umzusetzen, da der Jahn in diesen Szenen mannorientiert agierte, wodurch fast immer sofort ein Regensburger Spieler im Rücken eines Ulmers zu finden war. Besonders im gelb markierten Bereich machte der Jahn nach der diagonalen Spieleröffnung von allen Seiten dicht, sodass ein Kombinationsspiel über mehrere Stationen erschwert wurde.
Um darauf zu reagieren, agierte die Dreierreihe versetzt zu den defensiven Mittelfeldspielern, wobei der ballferne Spieler in seiner breiten Positionierung verblieb. Wenn der Gegner dann versuchte, das Zentrum zu versperren, konnte man relativ schnell über den tief stehenden Reichert und den breiten, ballfernen Halbraumverteidiger die Seite verlagern. So wurde der Vorteil des Herauskippens der Halbraumverteidiger ballnah und ballfern in den Halbraum einfacher erzeugt, denn sie konnten ihre Pässe aus einer hohen Grundposition, also näher an der Überladung, spielen. Dies führte zu einer höheren Präsenz im Kombinationsspiel, tendenziell Überzahlsituationen, und war auch im Gegenpressing von Vorteil, wenn notwendig.
Rotationen und Verschiebungen
Wie bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben, begann Ulm gegen Kaiserslautern ab dem Zeitpunkt größere Schwierigkeiten zu haben, als Lautern sich gegen den Ball auf die diagonalen Passwege konzentrierte. In der symmetrisch angelegten Pressingstruktur des Jahns konnte sich der isolierte Spieler der Ulmer intuitiv in eine Lücke freilaufen, wodurch die unterbrochene Verbindung harmonisch wiederhergestellt wurde. Beispiel: Wenn die Halbraumverteidiger ständig diagonal von Ernst und Viet angelaufen wurden, konnten sie sich breiter aufstellen und die Anzahl der diagonalen Möglichkeiten durch der Vergrößerung der Zwischenräume erhöhen. Gleichzeitig ließ sich ein zentraler Mittelfeldspieler (Brandt oder Maier) neben Reichert fallen, um die Breite zu kompensieren.
Das funktionierte alles recht spontan und war dadurch vielseitig und komplex. Gegen den Jahn gab es auch von den Flügelspielern gelegentlich solche Abkippbewegungen in die Räume der Halbraumverteidiger, was tendenziell sinnvoll war. Wenn man in einer symmetrischen Struktur mit gleichmäßigen Abständen solche Bewegungen anstrebt, führt das häufig dazu, dass der Gegner einfach mitgezogen wird, Mitspieler zugelaufen werden oder Verbindungen abbrechen. Ulm versuchte klassischerweise, den Flügelspieler des Jahns mitzuziehen und so den Passweg auf den Flügel zu öffnen.
Krattenmacher als Raumöffner
Dieser Angriffsweg sollte dann zu einer Gleichzahl gegen die Abwehrlinie führen (hier 3 gegen 3), was sich immer als gefährlich erweist. Dies wurde mit den Halbraumüberladungen verbunden, wobei Krattenmacher Saller explosiv herausziehen und so den Raum im Rücken des Außenverteidigers bespielbar machen sollte. Doch meist entstanden diese Situationen eher aus der Not heraus, was die Sauberkeit dieser Aktionen beeinträchtigte.
Maier und Brandt positionierten sich, wie bereits beschrieben, eher tief und mit einem Drang zum bespielten Flügel, um das Spiel über die Halbraumüberladungen anzukurbeln. Ihre Präsenz fehlte daher in den Räumen zwischen Mittelfeld und Sturm. Durch die Stärke in der Luft am Freitag, mit Ballas (80% gewonnen) und Breunig (70% gewonnen), konnte Ulm nicht mit Higl oder Chessa gefährlich in die Räume hinter dem Außenverteidiger eindringen. Teilweise war der Ball auch zu wenig lang, um den freien Raum zu belaufen.
Vielmehr konnte Regensburg durch die strukturellen Mängel der Ulmer, wie die fehlende Besetzung hinter dem Sturm, oftmals scheinbar zufällige Situationen nach Abprallern und zweiten Bällen für sich entscheiden. Besonders das zentrale Mittelfeld um Viet zeigte sich dabei überaus effektiv im Sichern sowie im unkonventionellen Weiterleiten – hierbei war es auch nicht unwichtig, dass Kühlwetter gerade in der Ballverarbeitung eine sehr gute Ergänzung darstellte und auch in eher wilden Situationen etwas Ruhe, was bisher noch oft fehlte, einbringen konnte.
Krattenmacher in der Zwickmühle
Den Gästen gelang es zu selten, aus der Ballzirkulation (52% Ballbesitz), die sie zweifellos hatten, auch Präsenz in der Offensive zu entwickeln. Theoretisch hätten sie, wie ich bereits erwähnte, mit Krattenmacher einen hervorragenden Verbindungsspieler gehabt, der sich auch in Unterzahl gegen das zentrale Mittelfeld durchsetzen könnte. Doch die Leihgabe tat sich schwer. Einerseits bewegte er sich in den Halbraumüberladungen mit dem Gegner im Rücken, wonach er sich erst aufdrehen müsste, um eine Verbindung herzustellen. Platzierte er sich in letzter Linie breit, so stand er ebenso mit Blick zum eigenen Tor und sollte eben jenes Herausziehen provozieren. Für mich ist diese Handlungsweise kontraproduktiv, denn Krattenmacher hatte noch Probleme in Zweikämpfen, dennoch beförderte man ihn bewusst in direkte Duelle. Er hatte 46 Ballkontakte – die meisten in der Sturmreihe – und kam dabei nur auf zwei Schüsse und drei Dribblings. Teilweise wurde er durch Ablagen der beiden Stürmer nach langen Bällen oder direkt in Verlagerungen gefunden. Hier konnte er dann sein Tempo ausspielen, aber es fehlte die Unterstützung. Um solche Situationen wie Dribblings zu erzeugen, tendierte er im Laufe des Spiels zu einer tiefen Positionierung, wodurch jedoch der Druck auf die Abwehrlinie insgesamt schwand und er einen langen Weg bis ins letzte Drittel hatte.
Damit einhergehend war das gesamte Ulmer Offensivspiel etwas zu nervös und unentschlossen. Selten reagierten sie konsequent auf die gegnerische Defensivdynamik: Wenn sie einmal ins Angriffsdrittel durchgebrochen waren und der Regensburger Block sich wieder hinter den Ball zurückziehen konnte, spielten sie die Angriffe trotzdem hektisch zu Ende, anstatt die nachrückenden Spieler einzubinden. In der Box agierte Ulm mit einer sehr hohen Besetzung in Zielräumen wie den kurzen und langen Pfosten sowie auf Höhe des Elf-Meter-Punkts, dennoch wählten sie nur selten Flanken, obwohl man mit Higl einen geeigneten Zielspieler (siehe Tor gegen Lautern) hatte. Vielmehr sollten vor allem die Flügelverteidiger das Dribbling ins Zentrum suchen, wo sie oft gestoppt wurden.
So stoppte der Jahn die Spatzen
Grundsätzlich formierte sich die Jahnelf im Spiel ohne Ball nicht in einem 4-1-4-1 wie zuvor gegen Hannover oder in den Testspielen. Der größte Unterschied bestand darin, dass Sebi Ernst und Christian Viet in aufgeschobener Position agierten und positionell als zwei Stürmer neben Kühlwetter spielten. Der Mittelstürmer deckte mit seinem Deckungsschatten primär den gegnerischen Sechserraum ab und lief notfalls auch Reichert an, der jedoch eher passiv mit dem Ball agierte. Die Halbraumstürmer (Viet, Ernst) konnten situativ die gegnerischen Halbraumverteidiger anlaufen und ein aggressives Pressing starten. Ansonsten konzentrierte man sich im engen 4-1-2-3 auf die Kontrolle der Halbräume, wobei die Flügelspieler mannorientiert gegen die Flügelverteidiger agierten und weite Wege mitgingen.
Hatte der Halbraumverteidiger von Ulm den Ball, sollte die erste Pressinglinie die diagonalen Passwege ins Zentrum bzw. den Sechserraum unterbinden. Dies übernahm, wie bereits erwähnt, Kühlwetter, aber auch Ernst lief in einem Winkel an, sodass dieser Passweg nicht möglich war. Der ballferne Flügelspieler (hier Pröger) agierte mit einer Doppelrolle: Einerseits sollte er den ballfernen Sechser (Brandt) abdecken, gleichzeitig aber auch im Zugriffsbereich seines eigentlichen direkten Gegners (Rösch) verbleiben. Diese Positionierung war gegen Ulm deutlich besser, da die Flügelspieler gegen Hannover oft das Gleichgewicht zwischen der Breitenhaltung und der Erfüllung ihrer Aufgaben nicht fanden, was zu Gegentoren führte – gegen Ulm jedoch schon. Hierbei sollte auch der ballferne Stürmer (Viet) den Passweg zur Seitenverlagerung auf den Flügelverteidiger im Deckungsschatten zustellen und seinem direkten Gegenspieler (Strompf) so wenig Raum wie möglich lassen.
Ballnahe Optionen am Flügel unterbunden
Wenn die Ulmer Flügelstürmer und -verteidiger in Richtung des Balles rückten, wurden die Mechanismen zur Sicherung des Flügels und zur Intensivierung des Pressings sichtbar. Der ballnahe Flügelstürmer (hier Kother) lief direkt auf den gegnerischen Flügelverteidiger zu und hielt den Sechserraum im Deckungsschatten. Optimalerweise übte er dabei so viel Druck aus, dass der Gegner sich nicht sofort in Richtung des eigenen Flügelstürmers (Chessa) aufdrehen konnte. Dazu rückte der Außenverteidiger (Schönfelder) auf den Flügelstürmer auf, allerdings mit leichter Vorsicht, während der ballferne Außenverteidiger (Saller) etwas einrückte und eine temporäre Dreierkette bildete. Der Flügelverteidiger wurde daran gehindert, beispielsweise zum Halbraumverteidiger (Gaal) zurückzuspielen, da auch dieser, wie hier durch Ernst, in den Deckungsschatten gestellt wurde. Egal, wohin er spielte, der Ballführende war sofort unter Bedrängnis. Nur wenn Reichert weit andribbelte und so Kühlwetter weit auf sich ziehen konnte, umspielte man die enge Spielweise und konnte das Pressing überwinden, wodurch die Halbraumverteidiger etwas Zeit und Raum erhielten.
Es gab auch teils situative Veränderungen: Je weiter Brandt und Meier ballnah verschoben (was in dieser Szene selten der Fall war), desto mehr rückte Geipl zwischen Kother und Pröger ein und nahm Brandt mannorientiert auf. Diese Anpassung diente dazu, dass Pröger weiterhin den gegnerischen Flügelverteidiger abdecken konnte, ohne dass die Kompaktheit gefährdet war. In solchen Situationen wurde Higl zwar freigespielt, aber ähnlich wie in der zweiten Halbzeit in Hannover verteidigten Ballas und Breunig gut aus der Kette heraus auf den Stürmer.
Dynamikändernungen in Halbzeit 2
In den zweiten 45 Minuten verschoben sich die Verhältnisse im Jahnstadion jedoch leicht. Ulm nutzte fortan extrem viel Breite in der ersten Aufbaulinie, da sich Hyryläinen situativ neben Reichert fallen ließ, wodurch die Halbraumverteidiger mit dem Ball zu Außenverteidigern wurden. Brandt orientierte sich nun sehr nahe an der Viererkette und entzog sich damit dem Deckungsschatten von Kühlwetter, der fortan Probleme mit seiner Positionierung hatte, da er nun Reichert und Brandt vor sich hatte und eigentlich beide abdecken sollte.
Die Einwechslung von Ganaus erwies sich daher als sinnvoll, da er es gewohnt ist, zwei Innenverteidiger und einen Sechser im Pressing abzudecken. Viet und Ernst mussten jedoch aufgrund der Breite der Ulmer nun längere Wege zu ihren direkten Gegenspielern zurücklegen, die dadurch mehr Zeit für die Ballweiterleitung hatten. Durch diese Breite schufen die Ulmer auch situativ mehr Möglichkeiten für Überzahlsituationen am Flügel, wie in diesem Beispiel. Anders als in der ersten Hälfte lag der Fokus weniger auf der diagonalen Spieleröffnung, sondern stärker auf dem Flügelspiel: Die Flügelverteidiger um Rösch trieben den Ball öfter an und konnten so auch die Flügelstürmer (z.B. Krattenmacher) in Szene setzen.
Da Ulm somit das Zentrum nahezu nicht bespielte, sondern einen Flügelfokus setzte, verschob sich auch das Spiel von Regensburg zunehmend. Die ballfernen Außenspieler rückten früher ins Zentrum ein und entlasteten so die ballnahen Spieler, die dadurch die gesamte Breite mitgehen konnten. Geipl agierte nun fast dauerhaft zwischen Pröger und Kother, wodurch diese nicht mehr ständig im Zwiespalt zwischen der Erfüllung ihrer defensiven und offensiven Aufgaben standen.
Der Jahn mit dem Ball
Ansonsten gestaltete sich die Begegnung im Großen und Ganzen jedoch eher zugunsten des Jahn, wobei man fairerweise auch von einer 50/50-Partie sprechen kann. Über weite Strecken kontrollierte der Jahn im 2-3-Aufbau das Spiel, ohne jedoch allzu viel Durchschlagskraft zu erzeugen. Die strategischen Konstellationen vollzogen sich in einer taktisch klaren Struktur: Gegen die mannorientierte Grundhaltung der Ulmer schoben Viet und Ernst halbräumig etwas hinter Kühlwetter und kippten immer wieder ab, wonach sie versuchten, die Dreierkette der Spatzen zu manipulieren. Diese konzentrierten sich zunächst darauf, das Zentrum zu schließen, wichen dann immer auf die Ballseite aus und suchten die Mannorientierungen.
Allgemein versuchte der Jahn, viel Breite ins Aufbauspiel einzubringen. Bereits die Innenverteidiger fächerten, wie schon in Niedersachsen, weit auf. Dazu klebte der ballnahe Außenverteidiger an der Außenlinie, während der ballferne einrückte. Geipl bewegte sich zwischen den beiden Stürmern in der ersten Pressinglinie der Ulmer und versuchte, sich im Angriffsablauf aus dem Deckungsschatten heraus freizulaufen.
Ein Problem für den SSV Ulm stellten die Außenverteidiger (hier Schönfelder) und Flügelspieler (hier Kother) dar. Durch die enge Anordnung in der zweiten Pressinglinie musste Allgeier entweder eine 2v1-Situation lösen, oder Chessa musste den weiten Weg zu Schönfelder auf sich nehmen. Das Herausrücken von Allgeier gestaltete sich mehrmals sehr risikoreich; er musste zwangsläufig immer beim Herausschieben Kother im Deckungsschatten halten, sonst hätte Schönfelder problemlos in den freien Raum spielen können. Die alternative Lösung bestand jedoch meist darin, dass Allgeier eng an Kother stand und man Schönfelder kurzzeitig den Ball überließ, während man lediglich die Passoptionen zustellte. Die Falle bestand darin, dass man beim Pass zurück auf den Innenverteidiger (Breunig) den Druck und die Intensität im mannorientierten Pressing schlagartig erhöhen wollte.
4v4-Situationen
Durch kleinräumige Folgebewegungen der Zehner und später vermehrt eingerückte Positionierungen des ballnahen Außenverteidigers gelang es dem Jahn oft, die gegnerischen Flügel- und Halbraumverteidiger sehr weit hinten zu binden. Auf der rechten Seite mündete dies in vielen klaren 4v4-Situationen mit Pröger, Viet, Geipl und Saller gegen die Mannorientierungen der Ulmer.
Dabei musste man aufgrund dieser Orientierungen auf sehr engem Raum kombinieren und versuchen, dann in den freien Raum zu gelangen, beispielsweise über Dreiecke. Hierbei agierte das Team von Joe Enochs jedoch noch etwas überhastet. Zudem gab es theoretisch stets die Option von Verlagerungen auf den eingerückten, ballfernen Außenverteidiger, der relativ hoch ohne direkten Gegenspieler agierte. Allerdings wurden diese ballfernen Optionen teils schlichtweg nicht gesehen. Durch das horizontale Verschieben einiger Spieler auf den Flügel litt die Präsenz in der Box etwas, und lediglich vereinzelt durch Kühlwetter entstand in der Box Gefahr.
Flexibele Bewegungen aus dem Halbraum heraus
Ein interessanter Aspekt waren auch die verschiedenen Bewegungen im Sechserraum. Oft kam Viet aus dem linken Halbraum tiefer und implementierte so einen 2-4-Aufbau, wodurch die Überzahl im Sechserraum beide Stürmer der Ulmer dazu zwang, einen Sechser im Deckungsschatten zu halten, was zu leichten Problemen und einem Intensitätsverlust führte. Interessanter wurde es, wenn auch Ernst tiefer agierte und so ein 2-5-Aufbau entstand, denn dann ergab sich auf beiden Seiten oft die Möglichkeit einer 4v3-Überzahl am Flügel. Teils drängte man dann einen Halbraumverteidiger zum Herausschieben auf den Flügelspieler, wie hier Gaal auf Kother. Es schien so, als wollte der Jahn gerade diesen Raum hinter Gaal attackieren. Im Rücken des Halbraumverteidigers wurde nach dem Herausschieben Raum frei, den der Jahn zu bespielen versuchte. Kühlwetter versuchte, sich früh auf die Ballseite zu bewegen, gleichzeitig rückte Pröger etwas ein und agierte als zweiter Stürmer.
Teils versuchte man, sich flach über mehrere Stationen in diesen Raum zu kombinieren, teils aber auch direkt mit einem langen Ball. So richtig effektiv wurde das jedoch nicht, da der Jahn zu ungeduldig diesen Raum suchte, und Allgeier im Laufe des Spiels Schönfelder sofort attackierte, wodurch dieser nicht den notwendigen Tempowechsel anbringen konnte. Später rückte man auch ballfern enger ein, und die Dreierkette konnte verschieben, wodurch dieser bespielbare Raum auch von Reichert besser abgedeckt werden konnte.
Allgemein versuchte man stets, die systematischen Grundbedingungen des Gegners in der Dreierkette zu nutzen, sei es durch entgegengesetzte Bewegungen, das Manipulieren, oder durch den langen Ball in den offenen Raum. Oder auch indem man nach Ballgewinn sofort mit dem ersten Pass den Raum hinter einem der aufgerückten Flügelverteidiger suchte. Die Ansätze waren wirklich sehr gut, und man veränderte sich deutlich von Hannover zu Ulm. Hierbei mag auch eine Rolle spielen, dass Oliver Seitz die Seiten gewechselt hat, und wer kennt eine Mannschaft besser als ein Co-Trainer?
Fazit
In der zweiten Halbzeit entwickelte sich das Spiel zu einem deutlich ausgeglicheneren und offenen Spiel mit viel Hin und Her, wodurch Ulm besser ins Spiel kam. Wörle stellte, wie oben beschrieben, um, danach musste sich der Jahn erst wieder in die Partie hineindenken und stellte nach einer kurzen Drangphase der Spatzen auf ein normales Pressing gegen eine Viererkette um.
Ein interessantes Spiel, in dem beide Mannschaften eigentlich ihr übliches System wählten, das Design der Systeme jedoch anders war als sonst. Regensburg spielte gerade durch die offensive Halbraumbesetzung mit Ernst und VIet offensiver und dadurch auch teils dominanter. Ulm wiederum hatte Probleme, ihr mannorientiertes Mittelfeldpressing effektiv durchzubringen, wodurch es ihnen an Zugriff mangelte. Das nutzte der Jahn gut aus, indem sie individualtaktische Lösungen mit vorbereiteten systematischen Ansätzen kombinierten.
Dazu zählt auch das Tor nach der Standardsituation, bei dem das Schema mehrmals im Spiel angewendet wurde und im entscheidenden Moment funktionierte: Der Jahn platzierte verschiedene Spieler bewusst im Abseits, die auch bewusst dort blieben. Erst als nach dem Antäuschen die Kette der Ulmer nach hinten rückte, standen sie wieder nicht mehr im roten Bereich und dazu ohne Gegenspieler.
Dennoch bleiben immer noch Schwächen und Problempunkte – insbesondere im Spiel nach vorne – und für das Trainerteam gibt es noch viel zu tun. Regensburg zeigt derzeit viele solide, aber etwas instabile Leistungen und steht damit zu Recht dort, wo man steht. Ulm enttäuschte im Aufbau- und Offensivspiel nahezu komplett, kam gegen Regensburgs gutes bis sehr gutes Pressing kaum zu Chancen, während sie selbst, trotz ebenfalls solider Leistung gegen den Ball, eine vermeidbare Standardsituation schlecht verteidigten. In Liga 2 kostet dir dann diese Aktion drei Punkte.